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Das Donauweibchen:

in Märchenhaft: 25.05.2010 20:32
von Adamon • Nexar | 15.451 Beiträge

Das Donauweibchen:


Unsere Vorfahren, die alten Germanen, welche Heiden waren, dachten sich die Erde bevölkert von guten und bösen Geistern, von Feen und Nixen, die in Wäldern, Gewässern, Grotten, auf Bäumen und Blumen ihr Wesen trieben. Solchen Glauben finden wir bei allen Völkern, die erst in den Anfängen ihrer Entwicklung sind.

So verehrten die alten Deutschen als ihre höchsten Gottheiten den Wodan und dessen Gemahlin, die Frikka, als Gott des friedlichen Ackerbaues den Donar, als Gott des Friedens und der Ehe Froh und dessen Schwester Freia; als Kriegsgott der Deutschen galt Zio, als Licht- oder Tagesgott Baldur und auch einen Teufel hatten die alten Germanen, den bösen Gott des Feuers, Loki, der überall der Anstifter zum Bösen und der Verführer der Menschen war.

Unter den Göttinnen waren hoch verehrt: Holda als Göttin der Fruchtbarkeit und des Segens, Ostara, die strahlende Göttin des Frühlings, die den Winter besiegt, und Hellia, die unerbittliche Göttin der Unterwelt, welche die Seelen der an Krankheit oder Alter verstorbenen Menschen tief in der Unterwelt verborgen hält; denn in die Wohnung der Göttin, in die Walhalla, kamen nur die im Kampf gefallenen deutschen Helden.

Als das Christentum bei den alten Deutschen die heidnischen Götter und Göttinnen verdrängt hatte, erhielten sich doch manche der alten Götter- und Geistergeschichten als Märchen und Sagen, die von einem Geschlecht auf das andere verbreitet wurden.

So stammt auch die Geschichte vom Donauweibchen aus der deutschen Heidenzeit sowie die Geschichten von der "wilden Jagd", in welcher Wodan, von der "weissen Frau", worin Holda, von der "Walpurgisnacht", worin Ostara die Hauptrolle spielt.

Es wird nun erzählt, dass in der Zeit, als Wien noch ein ganz kleines Städtchen war und an der Donau kleine Fischerhütten standen, in einer solchen Hütte ein greiser Vater mit seinem erwachsenen Sohn gelebt hätte. Beide betrieben das Fischerhandwerk und waren eigentlich mehr auf dem Wasser als auf dem Lande. Nur im Winter, wenn der Donaustrom fest zugefroren war, lebten die beiden Männer in ihrer Hütte, machten neue Netze oder besserten die alten aus, setzten ihre Fischerkähne instand und lebten heiter und zufrieden.

Es war an einem furchtbar kalten Wintertag; da sassen die beiden Männer bei dem grossen Kachelofen und legten fleissig Holzscheite zu; denn trotz der sorgsam vermachten kleinen Fenster wusste doch die grimmige Kälte in das Zimmer zu dringen. Aber den beiden Männern war es recht behaglich, denn das flackernde Feuer im Ofen hielt die Stube warm. Sie sprachen von ihren Erlebnissen auf ihren Fischerzügen auf der Donau und der Alte wusste von Geistern und Wassernixen viel zu erzählen. Am Grunde des Donaustromes sei ein grosser Glaspalast, in welchem der Donaufürst mit seiner Frau, seinen Söhnen und Töchtern, den zierlichen Nixen, lebe. Auf grossen Tischen stünden umgestülpte irdene Töpfe, unter denen die Seelen der Ertrunkenen gefangen gehalten werden.

Die Wassernixen seien gar liebliche Mädchen, die aber namentlich junge Männer durch ihren verführerischen Gesang in den Strom locken. Ja diese Wassernixen kämen sogar in die Tanzstuben und tanzten da, bis die Hähne zum ersten Male krähen. Dann müssten sie aber gleich nach Hause eilen, sonst würden sie von ihrem Vater furchtbar gestraft oder gar getötet. Sei das Donauwasser des morgens trübe, so hätten die Wassernixen Schläge von ihrem Vater bekommen, sei es aber blutig rot, dann wären sie gar nicht mehr unter den Lebenden.

Aufmerksam hörte der Sohn den Erzählungen seines Vaters zu, aber er wollte sich nicht so recht glauben; denn niemals hatte er den Nix oder die Nixen gesehen. Plötzlich erleuchtete sich die Stube und eine Mädchengestalt in schimmernd weissem Gewande mit weissen Wasserlilien im schwarzen Haar stand vor den beiden Männern. "Erschreckt nicht", sagte sie, "ich tue euch nichts zuleide; ich komme nur, euch zu warnen. Bald wird Tauwetter eintreten, das Eis des Stromes wird krachend in Stücke gehen, die Hochflut des Wassers wird sich über die Auen ergiessen. Seid auf eurer Hut und flieht weit ins Land hinein, sonst seid ihr verloren!"

Die beiden Männer wussten nicht, ob sie wachten oder träumten; denn so plötzlich wie die holde Wassernixe gekommen war, war sie verschwunden. Aber sie hatten sie doch beide gesehen und ihre liebliche Stimme gehört. Sie glaubten ihr und rasch eilten sie trotz des Schneesturmes und der Kälte in die anderen Fischerhütten und erzählten, was ihnen die Wassernixe gesagt. Schon in wenigen Tagen boten der Donaustrom und seine weiten Auen ein ganz verändertes Bild: ein grosser See war entstanden, aus welchem nur die Rauchfänge der Fischerhütten hervorlugten; aber keiner von den Bewohnern dieser Hütten war ums Leben gekommen, denn alle hatten den Rat der guten Wassernixe befolgt.

Wieder hatte der Strom seinen alten Lauf genommen, das Eis war unter der Sonne des Frühlings geschmolzen, die sonst weissen Flächen der Auen prangten im herrlichen Grün und Tausende von Blumen bedeckten die Erde; alles war glücklich in der herrlichen Frühlingszeit. Nur der junge Fischer konnte seit dem Tage, als er die Nixe gesehen, nicht mehr den Frieden seines Herzens finden. Sein Vater merkte das und böse Ahnungen erfüllten ihn.

Am liebsten fuhr nun der Sohn auf seinem Kahn in dem weiten Donaustrom herum, träumerisch sah er über die Wasser und so traurig und schmerzbeklommen, wie er fortging vom Hause, so traurig kam er immer wieder.

Eines Tages kam er nicht mehr. Weinend sass der greise Vater vor seiner Hütte, sein armer Sohn hatte in den Fluten der Donau den Frieden seines Herzens gefunden, sein Kahn wiegte sich schaukelnd auf der breiten Wasserfläche, herrenlos! - Das Donauweibchen hat seither niemand gesehen.



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