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Große Göttin
Die Wiederentdeckung einer alten Religion:
Die Religion der Großen Göttin ist vielleicht die älteste Religion in der westlichen
Welt. Ihre Ursprünge reichen weiter zurück als das Christentum, Judentum und Islam,
weiter auch als Buddhismus und Hinduismus, und sie ist ganz anders als alle so
genannten großen Religionen. Sie steht in ihrem Geist den Traditionen der
amerikanischen Eingeborenen oder dem Schamanismus der Arktis näher.
Sie gründet sich weder auf Dogmen oder Glaubensregeln noch auf von
einem Weisen offenbarte Schriften oder ein heiliges Buch.
Der Glaube an die Große Göttin bezieht seine Lehren
aus der Natur und erfährt seine Inspiration aus den Bewegungen von Sonne und Mond,
aus dem Flug der Vögel, dem langsamen Wachsen der Bäume und aus dem Wandel der
Jahreszeiten. Das ursprüngliche Symbol für das »Unsagbare« ist die Göttin.
Sie hat unendliche Eigenschaften und Tausende von Namen.
Sie ist die Wirklichkeit hinter vielen Metaphern.
Sie ist Wirklichkeit, die offenbarte Gottheit, allgegenwärtig in allem
Lebendigen, in jedem Menschen.
Die Göttin ist nicht von der Welt getrennt
- sie ist die Welt, und sie ist alles in ihr:
Erde, Sterne, Steine, Samen, fließender Strom, Wind,
Welle, Blatt und Ast, Knospe und Blüte, Reißzahn und Klaue, Frau und Mann.
Die Göttin - alt und urzeitlich; die erste der Gottheiten; Schutzherrin des
steinzeitlichen Jägers und des ersten Sämanns; unter deren Lenkung die Herden
gezähmt, die heilenden Kräuter erstmals entdeckt wurden; in deren Gestalt die ersten
Kunstwerke geschaffen wurden; der die ersten Steinsetzungen geweiht waren; die zu
Gesang und Dichtung inspirierte - erlebt heute mehr als eine Renaissance.
Sie wird nicht nur erneuert, sondern wiedergeboren, neu geschaffen.
Vor allem Frauen drängen zu diesem neuen Phänomen und erwecken die Göttin wieder,
die Vorstellung von der »Legitimität und Wohltat der weiblichen Macht«.
Ihre Bilder definieren keine Sammlung von Attributen oder nageln sie fest;
sie lösen Inspiration, Schaffensfreude, Fruchtbarkeit des Geistes und der Seele aus.
Das Bild der Göttin inspiriert Frauen, sich selbst als göttlich, den Körper als geweiht,
die wechselnden Phasen des Lebens als heilig, die Aggression als gesund,
den Zorn als reinigend und die Macht, zu stillen und zu gebären,
aber notfalls auch zu begrenzen und zu zerstören,
als die eigentliche Kraft zu betrachten, die alles Leben erhält.
Durch die Göttin können Frauen die Stärke entdecken, den Geist erleuchten,
sich den Körper zu eigen machen und die Gefühle annehmen.
Sie können aus den einengenden Rollen ausbrechen und sie selbst werden.
Auch für Männer ist die Göttin wichtig. Die Unterdrückung des Mannes in dem
von Gott Vater beherrschten Patriarchat ist vielleicht weniger offensichtlich, aber nicht
weniger tragisch als die der Frauen. Das Symbol der Göttin erlaubt den Männern, die
weibliche Seite ihrer Natur, die oft als tiefster und empfindsamster Aspekt des Selbst
empfunden wird, zu erfahren und zu integrieren.
Die Liebe zum Leben in jeder Gestalt ist die Grundethik der Religion der Großen
Göttin. Alle lebenden Dinge sind zu ehren und zu achten. Dies erkennt an, dass
Leben Leben nährt und dass wir töten müssen, um zu überleben, aber das Leben
wird nie unnötig zerstört, nie verschwendet oder vergeudet.
Den Lebenskräften zu dienen bedeutet, daran zu arbeiten,
dass die Vielfalt des natürlichen Lebens bewahrt,
die Vergiftung der Umwelt und die Zerstörung der Arten verhindert werden.
Die Welt ist Manifestation der Göttin, doch nichts in dieser Vorstellung muss
Passivität fördern. Das, was in der Welt geschieht, ist lebenswichtig. Die Göttin ist
immanent, aber sie braucht Menschenhilfe, um sich in ihrer vollen Schönheit zu
entfalten. Das harmonische Gleichgewicht bei der Wahrnehmung von Pflanze und
Tier, Menschlichem und Göttlichem ist nicht selbstverständlich, sondern muss
ständig neu hergestellt werden, und dies ist die eigentliche Aufgabe der Rituale.
Innere Arbeit, spirituelle Arbeit ist am wirksamsten, wenn sie Hand in Hand mit äußerem
Wirken voranschreitet. Die Meditation über das Gleichgewicht der Natur kann als
spiritueller Akt betrachtet werden, aber nicht in dem Sinn wie das Beseitigen von Müll,
der auf einem Lagerplatz hinterlassen wurde.
Die Mutter Göttin erwacht zu neuem Leben, und wir können allmählich unser Erstgeburtsrecht
wiedererlangen, die reine, berauschende Freude am Leben.
Wir können die Augen öffnen und neu erkennen lernen,
dass nichts vor dem Universum gerettet und nicht gegen es gekämpft werden muss,
dass wir keinen Gott außerhalb der Welt fürchten und keinem gehorchen müssen.
Nur die Göttin, die Mutter, die gewundene Spirale, die uns ins Sein hinein-
und aus ihm herausführt, deren blinzelndes Auge der Puls des Seins ist
- Geburt, Tod, Wiedergeburt -, deren Lachen alle Dinge vibrieren
lässt und die nur über die Liebe zu finden ist:
Liebe zu den Bäumen und Steinen, zu Himmel und Wolken,
zu duftenden Blüten und tosenden Wellen, zu allem was
keucht und fleucht und schwimmt und sich auf ihrem Antlitz regt;
über die Liebe zu uns selbst, die lebenslösende, Welterschaffende
orgastische Liebe zueinander; jeder von uns einzigartig und naturgegeben
wie eine Schneeflocke, jeder sein eigener Stern, ihr
Kind, ihr Liebhaber, ihr Geliebter, ihr Selbst.
Das vorliegende Büchlein baut sich um die Elemente auf, die nach meinem Gefühl
unter den verschiedenen Überlieferungen der Religion der Großen Göttin am
beständigsten sind.
Die Vorschläge sollen aber nicht sklavisch befolgt werden, sondern es wird vielmehr
eine Art musikalisches Leitmotiv angeboten, mit dem improvisiert werden kann.
Weltsicht der Religion der Großen Göttin
Schöpfungsmythos:
»Allein, ehrfurchtgebietend, in sich ruhend flutete die Göttin, Sie, deren Name
unaussprechlich ist, in den Abgrund der äußeren Finsternis, vor dem Anbeginn aller
Dinge.
Und als sie in den gewölbten Spiegel des schwarzen Raumes blickte, erkannte sie
darin ihr strahlendes Bildnis und verliebte sich in es. Durch die Kraft, die ihr
innewohnt, zog sie es hervor, vereinigte sich liebend mit ihm
und nannte es »Miria, das Wunderbare«.
Ihre Ekstase brach hervor als Lied über alles, was ist und war und sein wird,
und mit dem Gesang kam Bewegung, entstanden Wellen, die herauswirbelnd zu
den Sphären und Kreisen aller Welten wurden.
Die Göttin wurde von der Liebe erfüllt, sie ward rund und warm vor Liebe
und gebar einen Regen leuchtender Geister, welche die Welten erfüllten
und zu Geschöpfen wurden. Doch in der großen Bewegung wurde
Miria hinweggespült, und mit der Trennung von der Göttin ward sie immer männlicher.
Zuerst war sie der Blaue Gott, der sanfte, lächelnde Gott der Liebe; dann der
weinblattumschlungene Grüne Gott, der in der Erde verwurzelte,
der Geist aller wachsenden Dinge.
Schließlich wurde Sie zum Gehörnten Gott, zum Jäger, dessen Antlitz der
roten Sonne gleicht und doch finster ist wie der Tod. Doch immer zieht ihn
Sehnsucht zurück zu der Göttin, so dass er sie ewig umkreist, trachtend,
in Liebe wiederzukehren.
Alles hat seinen Ursprung in der Liebe. Alles sucht zur Liebe zurückzukehren.
Liebe ist das Gesetz, die Mutter der Weisheit, die große Offenbarende der Mysterien.«
(Mündliche Überlieferung aus der Feentradition des Hexenglaubens)
Dieser Mythos zeigt deutlich die Haltung des Staunens gegenüber der Welt, die
göttlich ist, und gegenüber dem Göttlichen, das die Welt ist. Im Anfang ist die
Göttin das All, die Jungfrau, das heißt vollendet in sich selbst. Sie wird Göttin
genannt, doch könnte sie ebenso gut Gott heißen - noch ist das Sexuelle nicht ins
Dasein gelangt. Noch gibt es keine Trennung, keine Teilung - nichts als die
ursprüngliche Einheit.
Doch die weibliche Natur des Seinsgrundes wird beansprucht,
weil der Schöpfungsprozess, der sich jetzt ereignet, ein Geburtsvorgang ist.
Die Welt wird geboren, nicht gemacht und nicht ins Dasein befohlen.
Die Göttin sieht ihr Abbild im gewölbten Spiegel des Raumes, was ein magischer
Einblick in die Gestalt des Universums sein könnte, in den gewölbten Raum der
modernen Physik.
Der Spiegel ist ein altes Attribut der Göttin, laut Robert Graves in
ihrer Erscheinung als »die alte heidnische Meeresgöttin
Marian ..., Miriam, Mariamne, Myrrhine, Myrtea, Myrrha,
Maria oder Marina, Schutzherrin der Dichter und
Liebenden und stolze Mutter des Bogenschützen der Liebe.
... häufige Verkleidung der Marian ist die Meerjungfrau
... die konventionelle Gestalt der Meerjungfrau - eine
hinreißend schöne Frau mit Fischschwanz, rundem Spiegel und goldenem Kamm -
bedeutet >die Liebesgöttin entsteigt dem Meere<.
Es gibt einen weiteren Aspekt des Spiegels: Ein Spiegelbild ist ein umgekehrtes Bild,
gleich, aber seitenverkehrt, die umgekehrte Polarität. Das Bild drückt das Paradoxon
aus: Alle Dinge sind eins, und doch ist jedes Ding für sich, individuell und einzigartig.
Die östlichen Religionen haben meist den ersten Teil des Paradoxons im Sinn und
vertreten die Auffassung, dass in Wirklichkeit alle Dinge eins sind und dass Trennung
und Individualität Illusionen darstellen. Westliche Religionen betonen die Individualität
und glauben meist, dass die Welt aus festen und einzelnen Dingen besteht. Die
westliche Auffassung ermutigt individuelles Streben und Engagement in der Welt.
Die östliche Auffassung fördert Rückzug, Kontemplation und Mitgefühl.
In der Religion der Großen Göttin sind beide Auffassungen gleich wertvoll.
Sie spiegeln sich gegenseitig und ergänzen einander.
Sie stehen nicht im Widerspruch zueinander.
Die Welt der getrennten Dinge ist die Spiegelung des einen;
das Eine ist Spiegelbild der Myriaden getrennter Dinge der Welt.
Wir alle sind Wirbel derselben Energie, doch jeder Wirbel ist einzigartig
in seiner Gestalt und seiner Gesamterscheinung.
Die Göttin verliebt sich in sich selbst und zieht ihre eigene Ausstrahlung hervor, die
ein Eigenleben gewinnt. Liebe des Selbst zum Selbst ist die schöpferische Kraft des
Universums. Sehnsucht ist die primäre Energie, und diese Energie ist erotisch: die
Anziehungskraft zwischen Liebendem und Geliebtem, zwischen Stern und Planet, das
Verlangen des Elektrons nach dem Proton. Liebe ist der Leim, der die Welt
zusammenhält.
Der blinde Eros indes wird zu Amor, der Liebe. Nach der Terminologie von
Joseph Campbell ist sie mehr personal und auf ein Individuum gerichtet als die
universale geschlechtslose Nächstenliebe, Agape, oder die unverhüllte sexuelle
Begierde.
Die Spiegelung der Göttin geschieht aus ihr selbst und erhält einen Namen.
Liebe ist nicht nur eine energiespendende Kraft, sondern sie fördert die
Individuation. Sie hebt die Trennung auf und schafft doch Individualität.
Sie ist das Urparadoxon.
Miria, die »Wunderbare«, ist natürlich Marian-Mariam-Mariamne, ist ferner
Mari, der Vollmond-Aspekt der Göttin. Der Sinn für Freude und Entzücken in der
natürlichen Welt ist das Wesen der Religion der Großen Göttin. Die Welt ist keine
mangelhafte Schöpfung, nichts, das wir fliehen müssten. Sie bedarf weder der
Errettung noch der Erlösung, doch es scheint, dass sie uns aus ihrem tiefsten Sein
heraus täglich mehr mit Staunen erfüllt.
Göttliche Ekstase wird zum Ursprung der Schöpfung, und die Schöpfung ist ein
orgiastischer Prozess. Ekstase ist das Herz - beim Ritual kehren wir das Paradoxon
von innen nach außen und werden die Göttin, teilen die ursprüngliche bebende Freude
der Vereinigung. Ekstase führt zu Harmonie, zur »Musik der Sphären«.
Musik ist der symbolische Ausdruck der Schwingung,
die allen Wesen zu eigen ist.
Die Physiker lehren, dass die Atome und Moleküle aller Stoffe,
vom flüchtigen Gas bis zum Felsen von Gibraltar, in beständiger Bewegung sind.
Dieser Bewegung liegt eine Ordnung, eine dem Dasein eigentümliche Harmonie zugrunde.
Die Materie singt durch ihre besondere Natur.
Immer mehr wird die Göttin von Liebe erfüllt, bis sie einen Regen strahlender
Geister gebiert, einen Regen, der das Bewusstsein in der Welt erweckt, so wie
Feuchtigkeit das Grün der Erde wachsen lässt. Der Regen ist das befruchtende
Menstruationsblut; das lebensfördernde Blut der Mondin, so wie das hervorbrechende
Wasser die Geburt ankündigt, die ekstatische Herausgabe von Leben.
Bewegung und Schwingung werden so groß, dass Miria hinweggespült wird.
Mit zunehmender Entfernung vom Mittelpunkt der Vereinigung wird sie immer
stärker polarisiert, differenzierter und männlicher. Die Göttin hat sich selbst
projiziert. Ihr projiziertes Selbst wird das Andere, Entgegengesetzte, das sich ewig
nach erneuter Vereinigung sehnt.
C. G. Jung würde sagen, dass sie ihre männliche Seele, ihren animus, projiziert hat.
Die Verschiedenheit erweckt Sehnsucht, die gegen die Kraft der Projektion zieht.
Das Energiefeld des Kosmos wird polarisiert und zum Leiter für Kräfte,
die in entgegengesetzten Richtungen wirksam werden.
Das All wird als Energiefeld betrachtet, das von zwei starken Kräften polarisiert
wird - dem Männlichen und dem Weiblichen, der Göttin und dem Gott, die in ihrer
höchsten Seinsform Aspekte voneinander sind. Allerdings müssen wir das Konzept
der Polarität von unseren kulturell bedingten Vorstellungen des Männlichen und
Weiblichen trennen.
Männliche und weibliche Kräfte weisen einen Unterschied auf,
aber wesentlich sind sie doch nicht verschieden: Sie sind die gleiche Kraft,
die in entgegengesetzte, aber nicht in unvereinbare Richtungen fließt.
Die Kräfte werden etwa so beschrieben: Keine ist aktiv oder passiv, dunkel oder hell,
trocken oder feucht - statt dessen besitzt jede alle diese Eigenschaften. Das Weibliche
wird als lebenspendende Kraft gesehen, als Macht der Offenbarung, der Energie, die in
die Welt fließt, um geformt zu werden. Das Männliche wird als Todesmacht betrachtet,
im positiven und nicht im negativen Sinn: die Kraft der Beschränkung, die den
notwendigen Ausgleich zur ungezügelten Schöpfung bildet, die Kraft der Auflösung, der
Rückkehr zur Formlosigkeit.
Jedes Prinzip enthält auch das andere. Leben führt zum Tode, nährt den Tod;
der Tod erhält das Leben, ermöglicht Evolution und neue Schöpfung.
Sie sind Teil dieses Zyklus, eine vom anderen abhängig.
Das Dasein wird erhalten durch das pulsierende Auf und Ab, den wechselnden Strom
beider Kräfte im vollkommenen Gleichgewicht. Unkontrolliert ist die Todeskraft Krieg
und Völkermord. Zusammen aber stützen sie einander in lebenserhaltender Harmonie,
in dem vollkommenen Kreislauf, der im Wandel der Jahreszeiten zu beobachten ist, im
ökologischen Gleichgewicht der natürlichen Welt und im Ablauf des Lebens von der
Geburt über die Zeit der Reife und des Alterns bis zum Tod - und dann zur
Wiedergeburt.
Der Tod ist kein Ende. Er ist ein Stadium in dem Kreislauf, der zur
Wiedergeburt führt. Nach dem Tod bleibt die menschliche Seele im »Sommerland«,
im Land der Ewigen Jugend, wo sie erneuert und verjüngt und auf die Wiedergeburt
vorbereitet wird. Die Wiedergeburt wird als große Gnade der Göttin angesehen, die
in der dinglichen Welt manifest ist. Leben und Welt sind nicht von der Gottheit
getrennt, sondern sind innewohnende Göttlichkeit.
Das Leben ist etwas Wunderbares.
Das Alter ist ein natürlicher und hoch geachteter Abschnitt im
Lebenszyklus, die Zeit höchster Weisheit und größten Verstehens.
Natürlich verursacht Krankheit Elend, doch muss sie nicht unvermeidlich
hingenommen werden. In der Praxis werden Heilkunst, Kräutermedizin und
Geburtshilfe verbunden. Auch ist der Tod nicht schrecklich. Er bedeutet einfach die
Auflösung der physischen Gestalt, die dem Geist ermöglicht, sich auf ein neues
Leben vorzubereiten.
Gewiss existiert das Leid im Leben - es ist ein Teil des Lernens
und soll durch aktive Arbeit gemildert werden.
Wo Leid ein natürlicher Bestandteil von Werden und Vergehen ist,
wird es gelindert durch Begreifen und Annehmen,
durch die bereitwillige Hingabe an Licht und Dunkel im Wechsel.
Die Polarität zwischen männlichem und weiblichem Prinzip sollte nicht als allgemein
gültiges Muster für einzelne weibliche und männliche Wesen genommen werden.
In jedem Menschen sind beide Prinzipien enthalten, wir sind sowohl weiblich als auch
männlich. Vollkommen zu sein bedeutet, mit beiden Kräften zu leben - Erschaffung
und Auflösung, Wachstum und Begrenzung. Die durch Zug/Druck der Kräfte erzeugte
Energie fließt in jedem von uns. Durch Rituale und Meditation kann sie individuell
erschlossen und so abgestimmt werden, dass sie mit anderen mitschwingt.
Sex beispielsweise ist weitaus mehr als der Akt der körperlichen Vereinigung;
er ist ein polarisierter Strom zwischen zwei Menschen.
Das männliche Prinzip wird zunächst fast als androgyne (= zwittrige) Gestalt
gesehen: das Kind, der Flöte spielende Blaue Liebesgott. Sein Bild ist verbunden mit
dem des persönlichen Blauen Gottes, des Göttlichen Selbst, das gleichfalls androgyn ist.
Zarte Jugend, geliebter Sohn - Er wird niemals geopfert.
Der Grüne Aspekt ist der Gott der Vegetation - der Geist des Getreides; das Korn, das
geschnitten und wieder gesät wird; die Saat, die mit jeder Ernte stirbt und in jedem
Frühling ewig neu geboren wird.
Der Gehörnte Gott, der im konventionellen Sinn unter den Projektionen der Göttin
männlichste, ist der Ewige Jäger, aber auch Tier, das gejagt wird. Er ist das wilde Tier,
das geopfert wird, damit das menschliche Leben weitergeht. Er ist aber auch der
Opfernde, der Blut vergießt. Er wird auch als Sonne betrachtet, auf ewiger Jagd nach
der Mondin am Himmel. Das Zu- und Abnehmen der Sonne im Verlauf der
Jahreszeiten symbolisiert den Zyklus Geburt und Tod, Werden und Vergehen,
Trennung und Wiederkehr.
Göttin und Gott, weibliches und männliches Prinzip, Geburt und Tod schwingen auf
ihren Kreisbahnen, unvergänglich und doch ewig im Wandel. Die Polarität, die Kraft,
die den Kosmos zusammenhält, ist die erotische, transzendente und individuelle Liebe.
Die Welt wurde nicht plötzlich zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen. Die
Schöpfung geschieht immerzu, in jedem Augenblick, und enthüllt sich im Zyklus des
Jahres:
Das Jahresrad
In der Liebe sucht der Gehörnte Gott unter sich wandelnder Gestalt und mit
verschiedenen Gesichtern immer die Göttin. In unserer Welt erscheinen das Suchen
und Streben im Rad des Jahres.
Sie ist die Große Mutter, die Ihn als Göttliches Kind Sonne zur
Wintersonnwende gebiert. Im Frühling ist Er Sämann und Saat und wächst mit
zunehmendem Licht, grün wie die jungen Schösslinge. Sie ist die Priesterin. Sie führt
ihn in die Mysterien ein. Er ist der junge Stier. Sie ist die Nymphe, die Verführerin.
Im Sommer, wenn das Licht am längsten strahlt, vereinigen sie sich, und die Stärke
ihrer Leidenschaft erhält die Welt. Doch das Antlitz des Gottes verdüstert sich, wie
die Sonne schwächer wird, bis auch Er sich schließlich, wenn das Korn zur Ernte
geschnitten wird, dem Selbst opfert, auf dass alle Nahrung finden.
Sie ist die Schnitterin, der Schoß der Erde, in die alles zurückkehren muss. Durch die
langen Nächte und finsteren Tage schlummert Er in ihrem Leib. Im Traum ist Er Herr
des Todes, der über das Land der Jugend jenseits der Tore von Tag und Nacht herrscht.
Sein dunkles Grab wird zum Gefäß der Wiedergeburt, denn mitten im Winter gebiert
sie Ihn aufs neue. Der Zyklus endet und beginnt erneut, und das Rad des Jahres dreht
sich und dreht sich ...
Die Rituale der acht Sonnenfeiertage leiten sich vom Mythos des Jahresrades ab.
Die Göttin offenbart ihre dreifaltige Wesenheit: Als Jungfrau ist sie jungfräuliche
Hüterin von Geburt und Initiation; als Nymphe ist sie sexuelle Versucherin, Geliebte,
Sirene, Verführerin; als Greisin ist sie die finstere Seite des Lebens, die Tod und Opfer
fordert. Der Gott ist Sohn, Bruder, Geliebter, der sein eigener Vater wird: das ewige
Opfer ewig zu neuem Leben wiedergeboren.
Die Weltanschauung der Religion der Großen Göttin achtet vor allem das Leben. Der
Kosmos ist ein polarisiertes Feld von Kräften. Die Polarität, die wir Göttin und Gott
nennen, erschafft den Kreislauf, der den Bewegungen der Gestirne und dem Wechsel
der Jahreszeiten zugrunde liegt, die Harmonie der natürlichen Welt und die Evolution
innerhalb menschlichen Lebens.
Wir nehmen das Wechselspiel der Kräfte auf zwei grundsätzliche Arten wahr:
Die ganzheitliche Sehweise des Sternenlichts über die rechte
Hirnhälfte und das Unbewusste sowie die lineare,
analytische bewusste Sehweise über die linke Hirnhälfte.
Die Kommunikation zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen
Sprechendem Selbst und Kindlichem Selbst und durch das letztere mit dem Göttlichen
Selbst, dem Geist, hängt von der Offenheit für beide Arten der Wahrnehmung ab.
Verbale Begriffe müssen in Symbole und Bilder übersetzt werden. Unbewusste Bilder
müssen ans Licht des Bewusstseins gehoben werden. Durch die offene Kommunikation
können wir uns auf die Kreisläufe der Natur einstimmen, auf die ekstatische Ur-
Vereinigung, welche die Kraft der Schöpfung ist. Die Einstimmung verlangt Opfer:
Die Bereitschaft, sich zu wandeln, sich von jedem Punkt des Rades zu lösen und sich
weiterzubewegen. Doch das Opfer bedeutet nicht Leiden, und das Leben in all
seinen Aspekten, Licht und Dunkel, Wachsen und Vergehen, ist ein großes
Geschenk. In einer Welt, in der der erotische Tanz von Gott und Göttin strahlend
alle Dinge durchwebt, werden wir, die wir uns ihrem Rhythmus überlassen,
hingerissen vom Wunder und Geheimnis des Daseins.
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. - Was Du aufdeckst, - offenbart sich . -
"Die Erlösung kann nicht verdient, nur empfangen werden, - darum ist sie die Erlösung". -
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