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Zahlen-Irrtum I:
Es gibt nur halb so viele gerade Zahlen (2, 4, 6, .)
wie Natürliche Zahlen (1, 2, 3, 4, .).
Beide Zahlenmengen enthalten genau gleich viele Zahlen.
Denn jeder Natürlichen Zahl können Sie genau eine gerade Zahl
und jeder geraden Zahl genau eine Natürliche Zahl zuordnen.
Das leuchtet Ihnen noch nicht ein?
Überzeugen Sie sich unter Abzählbarkeit.
Zahlen-Irrtum II:
Die Menge der Zahlen ist unendlich.
Noch größere Mengen kann es nicht geben, denn noch unendlicher
als unendlich geht ja wohl nicht.
Das geht durchaus, sogar auf unendlich viele Arten.
Wie Mathematiker darauf kommen, dass eine Menge unendlicher
ist als eine andere, und wie solche noch unendlicheren Mengen aussehen,
können Sie unter Kardinalzahlen nachlesen.
Kardinalzahlen, Zahlen zur Beschreibung der Mächtigkeit von Mengen.
Das Symbol Alef, der erste Buchstabe des hebräischen Alphabets,
wurde von ►Georg Cantor als Symbol für
unendliche Kardinalzahlen eingeführt.
Die unendlichen Kardinalzahlen hängen eng zusammen mit
einem der größten Rätsel der Mathematik des 19. und 20. Jahrhunderts,
nämlich der ►Kontinuumshypothese.
Um zu verstehen, was es damit auf sich hat,
folgt hier eine kurze Schritt-für-Schritt-Einführung in die Mengenlehre.
Nützlich ist es auch, den Artikel ►Abzählbarkeit gelesen zu haben.
Eine Menge ist eine gedankliche Zusammenfassung bestimmter Elemente,
wie etwa Zahlen.
Man schreibt Mengen in geschweiften Klammern,
die Menge der drei Zahlen 3, 4, 5 zum Beispiel schreibt man { 3, 4, 5 }.
Stellen Sie sich die Mengenklammern einfach wie eine Gedankenblase vor,
die die drei Elemente 3, 4, 5 zusammenhält.
Eine Menge kann endlich, aber auch unendlich viele Elemente enthalten.
In diesem Lexikon interessiert natürlich vor allem letzteres.
Die Menge der Natürlichen Zahlen zum Beispiel ist unendlich (s. Abzählbarkeit).
Die unendliche Fortsetzung der Zahlen deuten wir mit drei Punkten . an:
Als Kardinalzahl oder Mächtigkeit einer Menge bezeichnet man
die Anzahl ihrer Elemente.
Als Eselsbrücke kann man sich vorstellen, dass Kardinäle umso mächtiger sind,
je größer die Menge ihrer Anhänger ist.
Die Menge { 3, 4, 5 } etwa hat drei Elemente und somit die Kardinalzahl 3.
Eine Teilmenge einer Menge ist eine Menge,
die irgendeine Auswahl der Elemente dieser Menge enthält
- inklusive gar keinem oder allen.
Bei der Menge { 3, 4, 5 } gibt es also die acht möglichen Teilmengen { },
{ 3 }, { 4 }, { 5 }, { 3, 4 }, { 4, 5 }, { 3, 5 } und { 3, 4, 5 }.
Die Menge ohne Element { } nennt man 'leere Menge'.
Eine Menge mit der Kardinalzahl n hat genau 2n Teilmengen.
Denn es gibt genau 2n Möglichkeiten, eine Auswahl aus n Elementen zu treffen.
In unserem { 3, 4, 5 } Beispiel bekommen wir also 23 = 8 Teilmengen.
Zu jeder Menge lässt sich immer eine größere Menge konstruieren,
nämliche deren Potenzmenge.
Die Potenzmenge einer Menge ist einfach die Menge
all ihrer möglichen Teilmengen.
Im { 3, 4, 5 } Beispiel ist die Potenzmenge also die folgende Menge:
{ { }, { 3 }, { 4 }, { 5 }, { 3, 4 }, { 4, 5 }, { 3, 5 }, { 3, 4, 5 } }.
Wenn eine Menge die Kardinalzahl n hat,
dann hat ihre Potenzmenge gemäß unserer obigen Überlegung die Kardinalzahl 2n.
Potenzmengen sind, wie man sieht, viel größer als ihre Ursprungsmengen
und haben viel höhere Kardinalzahlen.
Dies wird sich im Folgenden noch als bedeutsam herausstellen.
Soviel zur allgemeinen Mengenlehre.
Jetzt kommen wir zu Cantors unendlichen Mengen und ihren Alef-Zahlen.
Die Kardinalzahl der Menge der Natürlichen Zahlen bezeichnete
Cantor mit dem Symbol א0 (ausgesprochen: Alef-Null).
Dies ist die wichtigste Kardinalzahl, denn alle abzählbaren Mengen
haben automatisch ebenfalls die Kardinalzahl א0,
da sie ja gleich viele Elemente wie die Menge der Natürlichen Zahlen enthalten.
In manchen mathematischen Darstellungen wird die Anzahl
der Natürlichen Zahlen auch als Naleph ("naives Aleph",
für die einfachste Art der Unendlichkeit) bezeichnet.
Cantor vermutete, dass Mengen noch 'höherer' Unendlichkeit
mit entsprechend größeren Kardinalzahlen existieren.
Die nächsthöhere mögliche Kardinalzahl nannte er folgerichtig א1 (Alef-Eins).
Je nachdem, wie viele Stufen der Unendlichkeit existieren,
gibt es weitere Alef-Zahlen א2, א3, א4 usw., von denen jede
größer ist als die vorhergehende und der nächsthöheren
Stufe der Unendlichkeit entspricht.
Zu welchen konkreten Mengen diese im Moment noch völlig
theoretischen Kardinalzahlen gehören können, wollen wir uns gleich überlegen.
Die Alef-Zahlen folgen seltsamen Rechenregeln,
die eine Folge ihrer Unendlichkeit sind.
Zum Beispiel gilt für jede unendliche Kardinalzahl א:
In Worten:
Wenn man einer unendlichen Menge ein Element hinzufügt,
ändert dies nichts an der Zahl der Elemente dieser Menge.
Unendlich plus eins gibt wieder unendlich.
Das gleiche gilt, wenn man zwei, drei, oder sogar
unendlich viele Elemente hinzufügt:
Warum das so ist, können wir beim Zurückblättern unter ►Abzählbarkeit sehen:
Wenn man beispielsweise zur Menge der geraden Zahlen
die Menge der ungeraden Zahlen hinzufügt,
also die Zahl ihrer Elemente und damit ihre Kardinalzahlen addiert,
erhält man die Menge der Natürlichen Zahlen.
Aber alle drei Mengen haben die gleiche Kardinalzahl,
da sie ja abzählbar sind, d.h. gleich viele Elemente wie die
Natürlichen Zahlen enthalten.
Also ändert das Verdoppeln einer unendlichen Menge nichts
an der Zahl ihrer Elemente, ebenso wenig wie das Verdreifachen
und sogar das Vervielfachen mit einer beliebigen endlichen Zahl a:
Kühn geworden, wollen wir die Menge jetzt unendlich oft vervielfachen.
Wir ersetzen dazu jedes einzelne ihrer Elemente durch die komplette Menge.
Wie man sich überlegen kann, ist dies gleichbedeutend mit einer
Multiplikation ihrer Kardinalzahl mit sich selbst.
Doch wieder ändert dies nichts an der Zahl ihrer Elemente:
Das Äquivalent zu dieser Formel ist nichts anderes
als die Abzählbarkeit der Brüche.
Denn zu jeder Natürlichen Zahl n gibt es genauso viele Brüche,
wie Natürliche Zahlen existieren: n/1, n/2, n/3,. usw.
Folglich entspricht die Multiplikation der Kardinalzahl mit sich selbst
dem Übergang von der Menge der Natürlichen Zahlen zur Menge der Brüche.
Eine unendliche Menge enthält sogar beliebig oft mit sich selbst multipliziert
immer wieder gleich viele Elemente:
Jetzt stellt sich die nahe liegende Frage, ob denn etwa jede beliebige
Rechenoperation mit א immer wieder א ergibt?
Die Antwort: Nein, nicht jede. Denn Cantor zeigte:
2א ist noch größer als א!
Wir erinnern uns: 2א ist die Kardinalzahl der Potenzmenge
einer Menge mit der Kardinalzahl א.
Die Kardinalzahl einer Potenzmenge aber ist immer größer
als die Kardinalzahl der ursprünglichen Menge
- und wie Cantor bewies, gilt das sogar für unendliche Mengen.
Die Potenzmenge jeder unendlichen Menge ist
also noch 'unendlicher' als diese selbst.
Damit hatte Cantor bewiesen, dass es wirklich eine Folge
von Alef-Zahlen א0, א1, א2, usw. gibt.
Denn da man zu jeder beliebigen unendlichen Menge
immer eine Potenzmenge bilden kann und zu dieser dann
wiederum eine Potenzmenge, gibt es keine Obergrenze für die Alef-Zahlen.
Die Folge der Alefs und damit die Anzahl der verschiedenen
Unendlichkeiten ist selbst unendlich!
Außer der Menge der Natürlichen Zahlen mit ihrer Kardinalzahl א0
kennen wir noch die Menge der Reellen Zahlen.
Das sind alle Zahlen mit einer beliebigen Zahl von Nachkommastellen.
Wir wissen, dass diese Menge nicht abzählbar und damit 'unendlicher'
ist als die Menge der Natürlichen Zahlen.
Preisfrage:
Wie groß ist die Kardinalzahl der Menge der Reellen Zahlen?
Cantor zeigte, dass diese Kardinalzahl gerade 2א0 ist,
also identisch mit der Kardinalzahl der Potenzmenge der Natürlichen Zahlen.
Das kann man sich mit folgender Überlegung verdeutlichen:
Die Potenzmenge der Natürlichen Zahlen enthält alle denkbaren
Teilmengen mit jeweils höchstens abzählbar unendlich vielen Zahlen.
Die Menge der Reellen Zahlen enthält alle denkbaren Zahlen
mit jeweils höchstens abzählbar unendlich vielen Nachkommastellen.
Beide Mengen sind also vergleichbar in der Zahl ihrer Elemente.
Wir haben also jetzt zwei unendliche Kardinalzahlen gefunden,
die zu konkreten Mengen gehören, nämlich א0
- die kleinste Alef-Zahl und zugleich die Kardinalzahl
der Menge der Natürlichen Zahlen
- und 20א, die Kardinalzahl der Menge der Reellen Zahlen.
Zum Abschluss dieses Kardinalzahlen-Exkurses
stellt sich die nahe liegende Frage, ob 20א denn
die zweitkleinste mögliche unendliche Kardinalzahl ist, ob also gilt:
Oder gibt es noch irgendeine unendliche Menge,
deren Kardinalzahl zwar größer ist als א0, aber kleiner als 20א?
Diese scheinbar einfache Frage hatte dramatische Konsequenzen
für Georg Cantor selbst und für die Mathematik des 20. Jahrhunderts.
Die Antwort ist überraschend. Sie finden sie unter ►Kontinuumshypothese.
© jcl 2007
Kontinuumshypothese, die Vermutung des Mathematikers Georg Cantor,
dass die Unendlichkeit der ►Reellen Zahlen nach der Unendlichkeit
der Natürlichen Zahlen die zweitkleinste Unendlichkeit ist.
Als Gleichung ausgedrückt:
Was es mit dieser Gleichung und den seltsamen Symbolen auf sich hat,
finden Sie unter ►Kardinalzahlen näher erklärt.
Wie man in ►Cantors Biographie nachlesen kann,
scheiterte er dramatisch am Beweis der Kontinuumshypothese
und bezahlte dafür einen hohen Preis.
Seine Kontinuumshypothese wurde Anfang des 20. Jahrhunderts
zu einem der bekanntesten ungelösten Probleme der Mathematik.
Viele Mathematiker bissen sich daran die Zähne aus. Zumindest bis 1930.
In diesem Jahr bewies der Logiker Kurt Gödel seinen Unvollständigkeitssatz*.
Jedes ausreichend komplexe widerspruchsfreie Aussagensystem,
so der Satz, ist unvollständig.
Das heißt, in einem solchen System gibt es Aussagen,
die sich mit den Mitteln des Systems weder beweisen noch widerlegen lassen.
Dies ist analog zu dem unter ►Wahrheit angeführten Beweis,
dass es keine universelle Wahrheitsmaschine geben kann.
Der Unvollständigkeitssatz gilt insbesondere für die Mathematik
und natürlich auch für das System der Mengenlehre.
Alle Mathematik ist unvollständig.
Gödel bewies diesen Satz auf abstrakte Weise,
also ohne ein konkretes Beispiel für eine solche prinzipiell
unbeweisbare Aussage zu kennen.
Es lag nun nahe, sich der ungelösten Probleme der Mathematik anzunehmen
und zu untersuchen, ob vielleicht eines dieser Probleme
eine solche Aussage enthält. Genau das tat Gödel.
Sein erster Verdächtiger war die Kontinuumshypothese.
1937 gelang es ihm zu beweisen, dass sich die Kontinuumshypothese
im Rahmen der Mengenlehre nicht widerlegen lässt.
Sie ist also mit allen Sätzen der Mengenlehre vereinbar.
Das heißt noch nicht, dass sie bewiesen ist.
Dazu müsste man zusätzlich nachweisen,
dass ihr Gegenteil mit den Sätzen der Mengenlehre nicht vereinbar ist.
Gödel kam mit der Kontinuumshypothese nicht weiter.
Erst 1963 konnte Paul Cohen nachweisen,
dass auch ihr Gegenteil widerspruchsfrei zur Mengenlehre ist.
Die Kontinuumshypothese ist damit im System der klassischen
Mengenlehre unentscheidbar - weder wahr noch falsch.
Sie ist eines der ersten konkreten Beispiele für Gödels Unvollständigkeitssatz.
Cantor hatte also mit all seinen Beweisversuchen im
19. Jahrhundert nie eine Chance.
Die dritte Stufe der Unendlichkeit:
Inzwischen überlegen sich Mathematiker,
durch eine sinnvolle Erweiterung der Mengenlehre
die Kontinuumshypothese entscheidbar zu machen.
Man ist jedoch davon abgekommen, sie in Cantors
ursprünglicher Version aufzunehmen.
Cohen ist sich mit vielen Mathematikern einig, dass die Menge
der Reellen Zahlen dermaßen groß ist, dass sie eigentlich nicht
die zweitkleinste Unendlichkeit darstellen kann.
Also sollte die Kardinalzahl des Kontinuums größer sein als א1,
um eine vernünftig handhabbare Mengenlehre zu erhalten. I
n der weiteren Entwicklung der Mengenlehre tendiert
man daher mittlerweile zu der Aussage
was natürlich sofort die Frage aufwirft,
welcher Menge denn dann die zweite Stufe der Unendlichkeit,
also die Kardinalzahl א1 entspricht...
* Die für Nichtmathematiker am besten verständliche Version
des etwas länglichen Beweises finden Sie in "Gödel, Escher, Bach"
von Douglas Hofstadter (s. Literaturverzeichnis).
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