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Sabine Seidel / historicum.net:

in Hexen - weise Frauen - Bewahrerinnen. - 01.06.2010 11:58
von Adamon • Nexar | 15.449 Beiträge

Sabine Seidel

Hexen(vorstellungen) und Magie in Südosteuropa :

Aus: http://www.historicum.net/themen/hexenfo...?tx_mediadb_pi1



(Ursprünglich: Teil der Diplomarbeit "Kindermund tut (nicht immer) Wahrheit kund. Betrachtungen zur Rolle der Kinder in den Hexenprozessen unter Berücksichtung südosteuropäischer Magievorstellungen. Graz, 2003.)



Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG

II. Hexen(vorstellungen) in Südosteuropa

2.1. Hexen im katholischen Südosteuropa

2.2. Geburt und ("Hexen"-)Hebammen

2.3. Merkmale und Hexenvorstellungen im orthodoxen Südosteuropa/a>

2.4. Abwehrmaßnahmen



III. Vampire

3.1. Einleitung

3.2. Definition(sprobleme)

3.3. Entstehung eines Vampirs

3.3.1. Die Geburt

3.3.2. Nachlässigkeiten der Hinterbliebenen

3.4. Merkmale und Eigenschaften

3.5. Abwehr- und Schutzmechanismen

3.6. Kinder im Vampirglauben

3.7. Kritische Stimmen



IV. Zusammenfassung



V. Literaturverzeichnis



Weichet von mir ihr Verfluchten,
in das ewige höllische Feuer.



1. EINLEITUNG

<1>

Der vorliegende Text stellt einen Teil meiner Diplomarbeit [1] dar, in welcher sich durch die regionale Einschränkung auf Europa das Problem "Südosteuropa" ergab, da es hier Hexenprozesse nur in sehr beschränktem Ausmaß gegeben hatte, dafür jedoch der Glaube an Vampire vorherrschte. Es stellte sich somit die Frage, ob diese Region aus den Betrachtungen ganz ausgeklammert werden sollte. Da Hexen in Südosteuropa jedoch zum Teil sehr interessante und von den übrigen europäischen Hexenprozessen abweichende Merkmale aufwiesen, sie von der bisherigen Forschung mehr oder weniger ausgeklammert wurden und sich bei aller Vorsicht auch hexenähnliche Elemente im Vampirglauben finden lassen, wurde auch der südosteuropäische Bereich in einem letzten Kapitel der Arbeit behandelt. Dass die beiden Texte nunmehr jedoch getrennt publiziert werden, liegt darin begründet, dass Hexen und Vampire, wie bereits gesagt, nur sehr eingeschränkt ähnliche Elemente aufweisen und eine Trennung der beiden Texte daher sinnvoller erschien.

Gegenständlicher Text wird nunmehr zu Beginn kurz auf die Hexenprozesse, welche in erster Linie von Ungarn und dem ehemaligen Nordjugoslawien überliefert sind, eingehen und anschließend einen Blick auf den Volksglauben an Vampire werfen, wobei sich diese Arbeit hierbei in erster Linie an den Thesen des Balkanologen Peter Mario Kreuter orientiert, der zu dem Ergebnis kam, dass sich die meisten gängigen Vorstellungen von Vampiren im Volksglauben nicht nachweisen lassen. So ist beispielsweise der allseits bekannte Vampirbiss in keiner historischen Quelle überliefert. Wie auch in der übrigen Diplomarbeit wurden auch für diesen Text neben der einschlägigen Sekundärliteratur Quelleneditionen, in erster Linie von Klaus Hamberger [2] sowie Dieter Sturm und Klaus Völker [3], als Primärquelle herangezogen.

Will man den Forschungsstand zur Geschichte der Vampire kurz darstellen, so sei in erster Linie auf die Internet-Adresse von Melinda K. Hayes hingewiesen, unter welcher mittlerweile rund 9.000 Werke in unterschiedlichen Sparten (Folklore, Film, Comics, Kinderliteratur, Novellen und Gedichte) aufgelistet werden. Diese Bibliographie wurde in zweijähriger Arbeit erstellt, wird laufend aktualisiert (zuletzt im Dezember 2002) und ist seit Oktober 1998 unter der Adresse: http://www-lib.usc.edu/~melindah/eurovamp/vampeuro.html im Internet abrufbar. Allein die Sparte "Folklore", welche für gegenständliche Arbeit in erster Linie von Bedeutung ist, enthält 516 Werke, wovon der Großteil bereits im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, also sofort nach Bekannt werden der ersten Vampirfälle entstand. Autoren dieser ersten Werke sind unter anderem Johann Christoph Harenberg [4] und Johann Christoph Meinig [5], welcher sein Werk unter dem Pseudonym Putoneus veröffentlichte. Nicht zu vergessen ist natürlich auch der Tractat von Michael Ranfft "Von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern, worin die wahre Beschaffenheit derer hungarischen Vampyrs und Blut-Sauger gezeigt, auch alle von dieser Materie bißher zum Vorschein gekommene Schrifften recensieret werden". [6]

Nach Meinung von Dieter Sturm und Klaus Völker dürfte dieses Werk nach wie vor zu den Standardwerken über Vampirismus zählen, da "keine der elf Schriften, keiner der Beiträge in Zeitschriften und Jahrbüchern [...] einen so gründlichen historischen Bericht wie die Arbeit von Ranft [gibt]. [7] 1755 bzw. 1768 beschäftigte sich Gerhard van Swieten ebenfalls mit Vampiren und veröffentlichte die Schrift "Vampyrismus von Herrn Baron Gerhard van Swieten verfasset, aus dem Französischen ins Deutsche übersetzet und als ein Anhang der Abhandlung des Daseyns der Gespenster beigerücket." [8]

<2>

Doch schon zu Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Vampiren stellten sich bereits Zweifel an deren Existenz ein und so wurden durchaus auch schon kritische Schriften hierzu veröffentlicht. Als Beispiele seien Ludwig Christian Charisius [9] und Friedrich Christoph Demelius [10] genannt. Den Höhepunkt der aufklärerischen Position markierte jedoch François-Marie Arouet Voltaire mit seinem Text "Vampires" [11]. In diesem Aufsatz überträgt er zum ersten Mal den Begriff "Vampir" auf einen lebenden Personenkreis, der dem Volk durch seine berufliche Tätigkeit ebenfalls das Blut auszusaugen scheint, indem er meint: "Weder in London noch in Paris war von Vampiren die Rede. Ich gestehe, daß es in diesen beiden Städten Börsenspekulanten, Händler, Geschäftsleute gibt, die eine Menge Blut aus dem Volk heraussaugen, aber diese Herren sind überhaupt nicht tot, allerdings ziemlich angefault. Diese wahren Sauger wohnen nicht auf Friedhöfen, sondern in wesentlich angenehmeren Palästen." [12]

Mittlerweile ist die Vampirliteratur analog der Hexenforschung kaum mehr zu überschauen und erstreckt sich, wie bereits angeführt wurde, auf weite Bereiche - teilweise zum Nachteil der historischen Vampirforschung, da sich die meisten Autoren nunmehr eher der Untersuchung des Vampirmotives in der Literatur bzw. in Filmen zuwenden. So untersucht zum Beispiel Susanne Pütz in ihrem Buch "Vampire und ihre Opfer" [13] den Blutsauger als literarische Figur. Ebenso wendete sich die Französin Florent Montaclair 1998 der Untersuchung von Vampiren in Literatur und dem Theater [14] zu, um nur zwei Beispiele hierfür zu nennen.

Als Autoren, die sich auf historischer Ebene mit der Vampirforschung beschäftigen und ihre Werke als Quelleneditionen verstehen, sind Klaus Hamberger [15] und die Herausgeber Dieter Sturm und Klaus Völker [16] zu nennen. Die Letztgenannten gliedern ihr Werk in zwei Teile, wobei der erste Teil eine umfangreiche Sammlung vampirischer Dichtungen ist. Im zweiten Teil sind die wichtigsten Dokumente über Vampirismus versammelt. Diesen Quellensammlungen folgt sowohl ein historischer als auch literarischer Essay der beiden Herausgeber. Der Erforschung der Geschichte der Vampire wendet sich Claude Lecouteux [17] zu. Obwohl er in seiner Einleitung schreibt, dass er für seine Arbeit die Abhandlungen des 18. Jahrhunderts sowie "Auszüge aus lokalen Chroniken, aus Zeitungen und aus dem, was man zu Unrecht 'Legenden' nennt" [18], heranzog, ist dies aus der Arbeit selbst leider kaum erkennbar. Die Zitate aus verwendeten Quellen wurden - vielleicht auch durch die Übersetzung ins Deutsche - sowohl lautlich als auch in Bezug auf die Interpunktion der heutigen Schreibweise angepasst, so dass das ansonsten meist mittransportierte, zeitgenössische Bild vollkommen verloren ging. Fragwürdig erweist sich außerdem die Heranziehung von Legenden als Quellen für historische Begebenheiten, obwohl Lecouteux meint, dass "die genannten 'Legenden' [...] in Wirklichkeit Erinnerungsstücke [sind], das heißt Berichte über Ereignisse, die man für wert erachtete, der Nachwelt zu überliefern - wegen ihres ungewöhnlichen, verblüffenden, beunruhigenden, kurz: verwirrenden und dennoch erinnerungswürdigen Charakters [...]." [19]

<3>

Dagmar Burkhart [20] und der Bonner Historiker und Balkanologe Peter Mario Kreuter [21] beschäftigen sich in erster Linie mit dem Vampirglauben am Balkan bzw. in Südosteuropa. Peter Mario Kreuter kommt in seiner Untersuchung zu dem Fazit, dass viele bekannte Klischees des Vampirs, wie man sie aus Filmen und dem Kino kennt, mit dem Vampir des Volksglaubens nicht viel gemeinsam haben. Einen besonderen Schwerpunkt legt der Autor auch auf die Frage, warum der Vampirglaube in Südosteuropa so stark verwurzelt ist und erklärt dies mit Lücken im christlich-orthodoxen Weltbild, welches besonders dem Totenkult kaum Beachtung schenkt. Der Aufsatz von Dagmar Burkhart findet sich mit zwar verändertem Titel, ansonsten jedoch mit wortwörtlich dem gleichen Text auch 23 (!) Jahre später im Sammelband "Kulturraum Balkan" [22]. Soll man daraus schließen, dass sich die Forschung in dieser Zeit nicht weiterentwickelt hat und der Text nicht zumindest durch neue Erkenntnisse ergänzt werden konnte? Speziell mit Rumänien beschäftigt sich auch Adrien Créméné in "La mythologie du vampire en Roumanie." [23]. Selbstverständlich ließe sich diese Liste noch lange fortsetzen, doch sei hierfür nochmals auf die sehr umfangreiche Bibliographie von Melinda K. Hayes unter der angegebenen Internet-Adresse verwiesen.

II. HEXEN(VORSTELLUNGEN) IN SÜDOSTEUROPA

2.1. Hexen im katholischen Südosteuropa

Wie bereits schon mehrmals erwähnt, spielte der Hexenglaube hier nur eine periphere Rolle, so dass es anhand der vorhandenen deutsch- bzw. englischsprachigen Literatur vorerst kaum möglich ist, detaillierte Erkenntnisse aufzuzeigen. Speziell dem Hexenglauben in Ungarn widmet der ungarische Historiker Gábor Klaniczay in seinem Buch "Heilige, Hexen, Vampire" ein eigenes Kapitel [24]. Die Darstellung erfolgt anhand von fünf Beispielen, wobei sich zwei auf den städtischen Bereich beziehen. Zwei weitere Beispiele untersuchen zwei Extreme in der sozialen Rangordnung: Hexenprozesse in der transsylvanischen Adelsschicht bzw. unter den Hirten des 17. Jahrhunderts. Als letztes Beispiel werden Hexereifälle in ungarischen Dörfern behandelt. Mit Hexenprozessen in Ungarn beschäftigten sich auch Sándor Dömötör [25], Antor Komáromy [26] und Ferenc Schram [27].

Obwohl es, zumindest im katholisch-protestantischem Teil Südosteuropas, wie am Beispiel von Ungarn gezeigt wurde, Hexenverbrennungen gegeben hatte, erreichten sie auch hier nie jene Ausmaße, wie sie vergleichsweise aus Deutschland bekannt sind. Eine mögliche Erklärungen hierfür hängt "mit dem Fehlen einer der Inquisition vergleichbaren Behörde zusammen. 'We should remember that there was no official religious inquisition in Romania; no organized attempt to eradicate the Romanian community of diabolical figures of malevolence.' Die Menschen und ihr Volksglaube waren sowohl von Seiten der Religion (Ostkirche, Islam) als auch von Seiten des osmanischen Staates wenn nicht ignoriert, so doch zumindest spirituell alleingelassen worden [...]." [28] Weiters wurden, zumindest in Ungarn, "keine dämonologischen Handbücher verfaßt oder übersetzt." [29] Die größte Verfolgung stellten in Ungarn die Szegediner Prozesse dar. Hier wurden zwischen "1728 und 1744 41 Personen angeklagt - mehr als 100 waren angezeigt worden. 21 von ihnen wurde 1728 der Prozeß gemacht, 14 wurden hingerichtet, und 2 starben in Gefangenschaft." [30]

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Daraus lässt sich leicht erkennen, dass die Ausmaße entsprechend geringer waren. Die Ursachen für den Szegediner Hexenwahn waren jedoch ähnlich wie in westeuropäischen Ländern: Naturkatastrophen wie Pest, Überschwemmungen und Dürre. Letztere brachte den Hexen auch den Vorwurf ein, sie hätten den Regen an die Türken verkauft. Auch das Muster der Verfolgungen, grausame Folterungen und die zwanghafte Aneignung dämonologischer Stereotypen entsprach laut Klaniczay jenem der übrigen europäischen Länder. Dies lässt sich auch aus den diversen Beschuldigungen erkennen, die Klaniczay im Zusammenhang mit seinem Beispiel aus der Adelsschicht anführt. Hier wird Anna Báthory Liebeszauber und Anwendung von Hexerei mit schädigenden Auswirkungen auf die Gesundheit anderer vorgeworfen. Auch einer anderen Angeklagten wird vorgeworfen, eine Frau verhext und nicht nur ihre wiederkehrenden Krankheiten, sondern auch den Tod mehrerer ihrer neugeborenen Kinder verursacht zu haben. Hebammen und Heilkundige gerieten ebenfalls immer wieder in Verdacht, durch ihre Zauberkraft Menschen krank gemacht zu haben. [31]

Interessant bei diesen Fällen ist, dass jene Art von Arbeitsteilung, die der aristokratischen Lebensweise entsprach, auch auf die Hexerei übertragen wurde. So übte die ausschließlich weibliche, aristokratische Hexe die Hexerei nicht selbst aus, sondern warb dafür eigene Fachleute an: "'kundige' Frauen aus dem Volk, magische Spezialist(inn)en, die sie mit wirksamen magischen Instrumenten ausstatten und ihr helfen sollten, wenn sie selbst jemanden verhexen oder ihren Feinden auf andere Weise schaden wollte. [...] Obwohl diese Diener für schuldig erklärt und bestraft wurden, teilten sie sich in die Verantwortung mit ihrer grausamen Hexen-Herrin, die als Verkörperung des moralisch Verwerflichen galt." [32] Die Konsequenzen für die Herrin waren im Vergleich jedoch relativ mild: Sie wurde des Landes verwiesen und ihre Güter konfisziert.

Neben diesem Detail aus der Adelsschicht scheint es interessant, dass ungarische Hirten weniger des Schadens an Menschen als vielmehr an Tieren angeklagt wurden. Man beschuldigte sie, dass sie "Tiere[n] 'im Namen des Teufels' eine Zaubersalbe verabreichten, Seuchen von ihren eigenen Tieren auf die Herden benachbarter Hirten umlenkten, die Tiere von Rivalen angriffen, indem sie Wölfe auf sie hetzten, oder sogar selbst die Gestalt von Wölfen annahmen und als Werwölfe in Erscheinung traten." [33] Es zeigt sich also auch hier, wie sehr sich das soziale Umfeld auf die Hexenprozesse auswirkte und Hirten daher weniger als Hexer sondern vielmehr als Werwölfe angeklagt wurden. Auf die Thematik der Werwölfe kann hier leider nicht näher eingegangen werden, da die Werwolf-Forschung ein eigenes Gebiet im Rahmen der Hexenforschung darstellt und für eine entsprechende Erläuterung in dieser Arbeit zu umfangreich wäre. Es sei in diesem Zusammenhang jedoch vor allem auf die Arbeiten von Elmar Lorey verwiesen. [34]

Sergij Vilfan beschäftigte sich in einer Untersuchung den Hexenprozesse in der Krain und kam zu dem Ergebnis, dass sich die Hexenprozesse in diesem Gebiet auf einen Zeitraum von rund 150 Jahren erstreckten, die einzige große Hexenverfolgung jedoch in den Jahren 1691/92 stattfand. Dass in den Jahren davor Hexenprozesse eher als Nebensache behandelt wurden, zeigt auch die Tatsache, dass die Stadt, als 1691 "die große Welle" kam, erst einmal einen sogenannten Zauberstuhl als Folterinstrument anschaffen musste. Dennoch hatte der Hexenwahn auch in der Krain vergleichsweise geringe Auswirkungen, denn im Laufe der 150 Jahre fielen "nur" 35 Personen, fast ausschließlich weiblichen Geschlechts, diesem zum Opfer. [35]

2.2. Geburt und ("Hexen"-)Hebammen

Die Geburt eines Kindes wird meist nicht nur mit großer Freude erwartet, sondern war auch stets mit Aberglauben jeglicher Art verbunden. Vor allem fürchtete man böse Geister, welche dem Kind schaden bzw. es im schlimmsten Falle sogar töten können. In dieser Beziehung bildet auch Südosteuropa (weder der katholisch-protestantisch noch der orthodox-islamische Teil) keine Ausnahme. Doch der Einfluss feindlicher Dämonen beginnt schon viel früher. So ist es schon bei der Hochzeit eines Paares möglich, diesem Unfruchtbarkeit anzuzaubern, indem man "links und rechts vom Wege, den das Brautpaar kommen muß, Schloß und Schlüssel [legt]; nachher verschließt man das Schloß, wirft es ins Wasser, den Schlüssel aber steckt man zu sich und spricht: 'Bis dieses Schloß mit diesem Schlüssel geöffnet wird, sollen jene Nachwuchs haben!'" [36] Unfruchtbarkeit bzw. Potenzschwierigkeiten des Mannes führt man ebenfalls auf magisches "Nestelknüpfen" zurück. Hierbei wird in Schnüre eine bestimmte Anzahl von Knoten geknüpft und diese durch Zaubersprüche bestärkt. Der Glaube des Nestelknüpfens geht dabei auf die Göttin Hera zurück, welche einmal für sieben Tage ihre Finger ineinander verschränkte und so die Geburt des Herakles verzögerte, indem sie die Lösung des Kindes von seiner Mutter Alkmene verhinderte [37].

<5>

Auch von Sultan Murad III. (1546 - 1595), wird berichtet, dass er durch magisches Nestelknüpfen verzaubert wurde. Verdächtigt wurde in diesem Fall sogleich seine eifersüchtige Gemahlin, von welcher man annahm, dass sie diese Kunst auch anderen Sklavinnen beigebracht hatte. "Der Verdacht des Nestelknüpfens führte unter Murad III. noch häufig zur Ertränkung von Sklavinnen, die als Zauberinnen denunziert wurden." [38]

Überstand man diese "ersten Hürden" so war man jedoch auch als Schwangere dem Einfluss feindlicher Dämonen ausgesetzt. Die werdende Mutter soll daher "ihren Zustand vor möglichst vielen Menschen geheim halten und soll möglichst wenig das Haus verlassen, nach Sonnenuntergang überhaupt nicht. Wenn sie schon nachts ins Freie muß, soll sie sich ein Stückchen Brot unter die rechte Achsel legen und ein Licht mitnehmen. Besonders soll sie Wegkreuzungen vermeiden, wo sie leicht auf ein Übel treten kann." [39] Auch das Ungeborene ist in dieser Zeit schon Gefahren ausgesetzt. So können in Bosnien und der Herzegovina böswillige Menschen ihm beispielsweise ein Muttermal anzaubern, "indem sie der Schwangeren glühende Kohlen nachwerfen und dann ihren eigenen Körper berühren." [40] Eine schwere Geburt führt man gleichfalls auf das Wirken von Dämonen zurück, welche deshalb "durch Räuchern, durch Besprengen von Weihwasser, durch Trinken desselben, durch Niederlegen von Wollkämmen, durch Zaubersprüche, Schießen und dergleichen" [41] vertrieben werden müssen. Um die Geburt zu erleichtern, öffnen griechische Hebammen, sobald die Wehen eingetreten sind, alle Schlösser an Türen, Kisten und Kasten. Frauen der slawischen Balkanvölker lösen in diesem Fall alle Knoten in Kleidern und Haaren, denn durch die Lösung der Knoten bzw. durch das Öffnen der Schlösser soll auch jeglicher Zauber gelöst werden. [42]

Weitere differenzierte Aussagen zu Hexenhebammen, wie sie beispielsweise im Hexenhammer gemacht wurden, sind für Südosteuropa leider nur in einem sehr bescheidenen Rahmen möglich, da es Hexenverfolgungen aufgrund der zentralen Leitung der katholischen Kirche von Rom aus, wodurch es zur Einrichtung der Inquisition und damit überhaupt zu Verfolgungen kommen konnte, ausschließlich im katholisch-protestantischen Bereich gegeben hat, nicht jedoch im orthodoxen bzw. islamischen. In diesem Bereich war hingegen der Glaube an Dämonen, wie schon Charles Stewart in seinem Buch "Demons and the Devil" [43] gezeigt hat, weit verbreitet. Stewart wies aufgrund seiner Feldforschungen auf der griechischen Insel Naxos nach, dass der Glaube an Dämonen auch heute noch in vielen Menschen verwurzelt ist. Wurden dennoch Hexenprozesse aus dem katholisch-protestantischen Teil Südosteuropas überliefert, so bilden Hebammen ebenfalls nur einen kleinen Teil der Opfer. Es zeigt sich jedoch, dass Hebammen auch hier heimlich gerufen werden, damit die bösen Geister nichts von der bevorstehenden Geburt erfahren. "Die Hebamme hütete ebensolches Stillschweigen, selbst ihrer eigenen Familie gegenüber verrät sie nicht, wohin sie gerufen worden ist." [44]

<6>

Gábor Klaniczay [45] berichtet unter anderem von einem Prozess in der ungarischen Stadt Kolozsvár (Klausenburg) aus dem späten 16. Jahrhundert. In diesen Prozess waren insgesamt neunzehn Hexen verwickelt, von denen acht Personen als Heilkundige oder Hebammen bezeichnet wurden. Klaniczay geht leider nicht näher auf den Prozess ein, sondern erwähnt lediglich, dass sich drei "kundige" Frauen gegenseitig beschuldigten, Menschen durch ihre Zauberkraft krank gemacht zu haben. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass es sich auch hierbei um einen Konkurrenzkampf unter den Hebammen gehandelt haben könnte, zumal Klaniczay selbst an anderer Stelle von einem Konkurrenzkampf zwischen Hebammen und Heilern spricht [46], leider jedoch auch hierauf nicht näher eingeht.

Hebammen mussten in Südosteuropa jedoch nicht immer als unheilbringende Wesen angesehen werden. So erfahren wir beispielsweise aus einem Brief vom 09. April 1732 die Geschichte, "daß in Ungarn einst eine berühmte Hebamme lebte, die nach ihrem Tode nicht nur zu ihrer Familie, sondern auch zu den Wöchnerinnen zurückkehrte, und noch mehrere Kinder entband." [47] Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte wird jedoch schon im nächsten Brief wieder dementiert. [48] Angesichts der Absurdität des Hexenwahns, erübrigt es sich, dem Wahrheitsgehalt dieser Geschichte weiter nachzugehen. Entscheidend ist nur, dass hier der Glaube an "gute" Hexen bzw. Hexenhebammen vorhanden war, während man im übrigen Europa in den Hexen einzig und allein Vertreter/innen des Bösen sah.

Auch bei der Geburt war das Neugeborene noch vielen "Gefahren" ausgesetzt, welche jedoch ebenfalls kaum mit der Hebamme in Verbindung gebracht wurden. Ganz im Gegenteil - konnte die Hebamme hier zum Teil noch weiteres Unheil verhindern. So fürchtete man, mit Ausnahme von Bosnien und Herzegowina, in den meisten Landschaften, dass ein Kind in der sogenannten Glückshaube, das heißt, in der unversehrten Fruchtblase zur Welt komme, da ein solches Kind später ein dämonisches Wesen offenbaren bzw. nach seinem Tode zu einem Wiedergänger werden würde. War das auf diese Art Neugeborene ein Mädchen, so wurde sie zur "Mora" bzw. nach ihrer Verheiratung zu einer Hexe, "wenn die Hebamme nicht gleich hinausläuft und ruft: [...] 'Ein Mädchen in weißem Kleid ist uns geboren; es ist keine Vila und keine Hexe, sondern ein wahrhaftiges Mädchen!'" [49] Auf die Begriffe des Wiedergängers bzw. der Mora wird im letzten Kapitel dieser Arbeit noch näher eingegangen werden.

2.3. Merkmale von Hexenvorstellungen im orthodoxen Südosteuropa

Die weite Verbreitung der Hexenvorstellungen bedingt natürlich nicht nur unterschiedliche Bezeichnungen [50], sondern auch unterschiedliche Vorstellungen über Hexen, und so gibt es neben den allgemein bekannten bösen Hexen auch gute, ihren Mitmenschen wohlgesonnene Hexen, die man um Rat fragen kann. Ihr Wissen erlangen Hexen zum Teil dadurch, dass sie den Mond vom Himmel holen und von ihm lernen. [51] Neben diesen Besonderheiten der guten Hexen weisen Hexen in diesem Bereich noch einige andere Merkmale auf, welche von westeuropäischen Hexenvorstellungen abweichen, und im Folgenden näher untersucht werden sollen.

So gibt es schon bei der Vorstellung, wer überhaupt eine Hexe sein bzw. werden kann, unterschiedliche Vorstellungen. Im ehemaligen Jugoslawien glaubte man, dass nur alte, hässliche Frauen Hexen seien, während man in Bulgarien meinte, dass "nur Dirnen, Kupplerinnen, mit einem Geburtsmal Geborene, Kinderlose, Frauen über 50 und solche, die tot geboren und durch Lufteinblasen wiederbelebt [...] wurden, Hexen werden können." [52] Allerdings hat eine Hexe nicht sofort ihre magischen Fähigkeiten. Dagmar Burkhart berichtet in ihrem Aufsatz [53] von einem interessanten Ritual, dem sich Hexen unterziehen mussten um aktionsfähig zu werden, welches hier kurz wiedergegeben werden soll:

[Die Hexe] muß am Karfreitag vor Sonnenaufgang das erste Ei einer schwarzen Henne nehmen, unter der Achsel tragen, bis ein schwarzes Küken (eine andere Farbe ist wirkungslos!) ausschlüpft, dieses am leeren Herd schlachten und sich den nackten Körper mit dem gewonnenen Blut bestreichen und darüber ein noch nie getragenes Kleid anziehen; nach 40 Tagen muß sie nachts zu einer Mühle gehen, wo sich das Rad links herum dreht, sich dort im Wasser waschen und mit einem Extrakt aus Kräutern übergießen, die in einem neuen Topf auf dem leeren Herd und über einem Feuer aus Weißdornholz gekocht wurden; in dem Moment erscheint ihr der Teufel, sie spricht mit ihm, verschreibt sich ihm, erhält Anweisungen und bleibt dort bis zum ersten Hahnenschrei. [54]

Interessant dabei erscheint, dass man trotz diesem Aufwand, den eine angehende Hexe auf sich nehmen musste, um ihre magischen Fähigkeiten zu erlangen, davon ausging, dass es Frauen gab, die sich dieser Prozedur unterzogen.

<7>

Eine Spezialität böser Hexen ist es, den Lebenden im Schlaf das Herz herauszufressen, womit sie den Vampiren, auf welche im Anschluss näher eingegangen werden soll, schon sehr nahe kommen. "Dazu schlägt sie dem Opfer mit einem Zweig auf die linke Brust, die sich daraufhin öffnet und das Herz freigibt, das die Hexe nun mitsamt der darin befindlichen Lebensenergie verzehren kann." [55] Das Opfer muss an diesem Akt nicht sofort sterben, sondern kann auch noch solange weiterleben, wie die Hexe es will. Natürlich haben die Hexen, wie in Westeuropa, Versammlungsplätze, auf denen sie mit dem Teufel Orgien feiern, jedoch müssen diese nicht unbedingt auf Bergen liegen, sondern können auch auf alten Bäumen oder in Dreschtennen statt finden. Als Fortbewegungsmittel diente ihnen dabei nicht nur die in Westeuropa übliche Zaubersalbe, sondern es wird auch berichtet, dass sie in einem magischen Sieb fahren. [56] Außerdem können sich Hexen auch in unzählige Tiere, unter anderem in Fliegen oder Schmetterlinge, verwandeln. Dies ist vor allem darauf zurück zu führen, dass man von dem Glauben ausging, dass der Körper der Hexe wie im Schlaf oder in der Erstarrung liegen bleibe, während nur ihre Seele den Körper in Form eines Tieres verlässt und das entsprechende Unheil stifte. Auch diesen Glauben werden wir später bei den Vampiren wieder finden, von denen man annahm, dass sie ihre Gräber in Form von Fliegen oder anderen geflügelten Wesen durch kleine Löcher in der Erde verließen.

Hexen mussten jedoch durchaus nicht nur andere Menschen schädigen, sondern es wird immer wieder erwähnt, dass sie auch gegeneinander zu kämpfen hatten. So wird beispielsweise berichtet, dass 1716 eine ungarische Hexe auf dem Gellért-Berg (Budapest) mit einer türkischen Hexe gekämpft hatte. [57] In diesen Kämpfen ging es vor allem um Fruchtbarkeit für Vieh und Felder. Dem dalmatinischen Volksglauben nach, tragen die Hexen ihre Kämpfe in den Wolken aus und der Hagel fällt auf das Gebiet der Besiegten. [58] Manchmal tragen die Hexen ihre Kämpfe auch mit Stöcken aus, ohne sich aber dabei gegenseitig ernsthaft zu verletzen, denn sie sagen sich zuvor: "Ich schlage dich, aber ich tue dir nicht weh" [59]. Diese Kämpfe dienen jedoch weniger der Fruchtbarkeit der Felder, sondern sind mehr oder weniger Machtkämpfe unter den Hexen, denn wer gewinnt, hat das ganze Jahr über das Sagen.

2.4. Abwehrmaßnahmen

All diese Merkmale können neben vielen anderen Elementen mit ein Grund gewesen sein, dass Hexen nicht immer bzw. nur in einigen Fällen im katholisch-protestantischen Teil Südosteuropas verbrannt wurden. Außerdem kannte man im orthodoxen Bereich noch einige andere Abwehrmaßnahmen, um sich vor Hexen zu schützen, so dass eine gerichtliche Verfolgung der Hexen eher die letzte Schutzmaßnahme darstellte. Zu diesen zählen neben Amuletten, Kreuzzeichen und Gebeten auch solche, die man ebenso als Schutz gegen Vampire verwendete, wie zum Beispiel Knoblauch und Wacholder. Wollte man sich vor Hexen zwar nicht schützen, diese aber aufspüren, so kannte man auch dazu einige interessante Mittel. Wenn man einer Hexe beispielsweise sagte, dass sie am nächsten Tag um Salz oder Brot kommen solle, so muss sie dies in ihrer wahren Gestalt tun. - Auch diese Form spiegelt sich im Vampirglauben wider. Peter Mario Kreuter berichtet von einer weiteren interessanten Technik zum Aufspüren von Hexen, welche speziell in Albanien verbreitet war. Hier "hebt man am Faschingsabend ein Stückchen Schweinefleisch auf und bestreicht damit am Ostersonntag während der Messe die Kreuze an der Kirchentür." [60] Dies führt dazu, dass alle in der Kirche befindlichen Hexen gefangen sind, da sie nicht mehr hinausgehen können.

Eine abschließende Besonderheit der Hexen, welche sich ausschließlich im orthodoxen Südosteuropa findet und damit auch schon zu den nächsten übernatürlichen Wesen überleitet, ist der Glaube, dass Hexen nach ihrem Tode zu Vampiren werden und in dieser Form ihr Unwesen fortsetzen. Ein weiteres Bindeglied zwischen Hexen und Vampiren stellt auch die sogenannte MORA dar. Unter ihr versteht man im südslawischen Volksglauben meist ein Mädchen, das mit einem roten Glückshäubchen (d. h. mit der unversehrten Fruchtblase auf dem Kopf) auf die Welt kommt und bei dessen Geburt der nötige Abwehrzauber unterlassen wurde. Sie wird meist als Hexe angesehen, "die geschworen hat, Menschen nicht mehr zu fressen, sondern nur noch im Schlaf zu drücken; oder man sagt, ein Mädchen, das Leute als Mora plagt, wird nach seiner Heirat eine Hexe." [61] Ist die Mora aktiv, verfällt ihr Körper in einen tiefen, der Ohnmacht ähnlichen Schlaf, und ihre Seele nimmt die Gestalt eines Tieres an. Teilweise belästigt die Mora nicht nur Menschen, sondern saugt auch Tieren das Blut aus. Neben den üblichen Abwehrmechanismen für Hexen, wie Trudenfuss, Kreuzzeichen, Beschwörungsformeln, Räuchern etc., kann man eine Mora auch abwehren, indem man einen gewebten Gürtel der Länge nach über das Bett legt, da die Mora dann denkt, dass ihr bereits eine andere zuvor gekommen sei. Bringt man einer Mora Wunden bei, so sind diese am nächsten Tag auch beim betreffenden Mädchen zu sehen. [62]

<8>

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Hexenglaube auch im orthodoxen Südosteuropa verbreitet ist, jedoch zum Teil sehr unterschiedliche Merkmale aufweist und vor allem nicht mit Hexenverfolgungen einher geht. Auffallend ist auch, dass sämtliche Autoren nur von erwachsenen Hexen (mit Ausnahme der soeben kurz beschriebenen hexenähnlichen Mora) berichten. An dieser Stelle kann jedoch nicht daraus geschlossen werden, dass es in Südosteuropa keine Kinderhexen gegeben hätte bzw. dass Kinderhexenvorstellungen keine Rolle gespielt hätten. Leider sind sämtliche Dokumente, welche eine Forschung anhand von Quellen ermöglichen würden, in den diversen Landessprachen verfasst, so dass sie für diese Untersuchung nicht herangezogen werden konnten. Auch in der Sekundärliteratur selbst lassen sich keine spezifischen Arbeiten zu Hexen in Südosteuropa finden, sondern lediglich über die Hexenabwehr. Andererseits finden sich auch in der Hexenforschung keine Arbeiten, die den orthodoxen Bereich des südosteuropäischen Raumes in ihre Betrachtungen miteinschließen, so dass geschlossen werden muss, dass hier das Thema Hexenverfolgung im Allgemeinen und Kinderhexen im Besonderen keine Rolle spielte.


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"Die Erlösung kann nicht verdient, nur empfangen werden, - darum ist sie die Erlösung". -
zuletzt bearbeitet 05.10.2014 07:58 | nach oben springen
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