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Fetischismus:

in Die psychologische Interpretation: 02.06.2010 01:58
von Adamon • Nexar | 15.548 Beiträge

Aus: http://www.muellerscience.com/MODELL/Lit...le_Fetische.htm



Fetischismus (Kurzdefinitionen)



„fetisso der fetissi, Fetichen, nennen die Einwohner in Guinea ihre Götzen, denen zu Ehren sie Ringe, Bänder, Creutze, Stroh-wische, und andere Dinge an den Arm und Beinen tragen, und beym ersten Trunck bespeyen.

Ingleichen hat ein jeglicher Broffo oder Oberster einer Stadt oder Dorffs, bey dem Thore seines Hofes alle Zeit zwey Töpffe mit süssem Wasser in die Erde gegraben stehen, zum Dienst Fetisso oder des Abgotts, daraus zutrincken, welches alle Tage erneuert wird.

Einige dieser Gottheiten werden von einer ganzten Provintz, andere aber von einer gewissen Familie zum Schutz-Gott auserbeten.

Dapper. Afric.

Ihre Teufels-Banner nennen sie Fetisiers, die wissen mit Gifft, und das Gewehr mit Gifft zu bestreichen, vortrefflich umzugehen.“



Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig und Halle, 1735, 675; Nachdrucke Graz: Akademische Druck- und Verlags-Anstalt 1961 und 1993.





„(von dem portugiesischen Wort feitiço): Verehrung von Gegenständen, denen man zauberische Kräfte zuschreibt, da man sie als Stätte von Geistern, als von Geistern beseelt auffasst.



Der Fetischismus ist eine Entwicklungsstufe des Animismus [= der bei primitiven Völkern stark verbreitete Glaube an die Wirksamkeit von Seelen, Geistern in der Natur].

Vgl. Fr Schulze, Der Fetischismus, 1871; Wundt, Völkerpsychologie, 1900 ff., II, 46 ff.



- Vgl. Kausalität (Mach [nach welchem Ursächlichkeit einen "starken Zug von Fetischismus" hat und daher durch den Begriff der Funktion zu ersetzen ist]).



- In der Psychopathologie die Verschiebung der Libido [das geschlechtliche Begehren] von der Person auf gewisse Attribute derselben (Haare, Kleider usw.).“



Eislers Handwörterbuch der Philosophie. Zweite Auflage neu herausgegeben von Richard Müller-Freienfels. Berlin: Mittler 1922, 214, 31, 333, 367.





Seit prähistorischen Zeiten?



Seinen schönen Beitrag über Modelle in der „Encyclopedia Americana“ eröffnet Harry Zarchy (1968) mit den Sätzen:



„Models have been used since early prehistoric times; no one knows when they were first employed. Primitive people have always made fetishes, carved figures, and other handmade objects which were worshiped as having supernatural powers. Many … were modelled after people or animals.

Fetishes were used for various purposes. Primitive sorcerers cast spells over their enemies by fashioning small models or figures of their intended victims. After the appropriate magic had been performed with the model, the person it represented was supposed to die. In some societies, small manikins were used in treating sickness…”



Erst seit 1400 in Afrika durch die Berührung mit den Hochreligionen?



Nach den Recherchen neuerer Ethnologen gibt es Anzeichen, dass das als Fetischismus abgewertete Zauberwesen Afrikas erst in den Zeiten des Kolonialismus, also seit etwa 1400, durch die Berührung mit den Hochreligionen, Christentum und Islam, eigentlich befördert und verbreitet wurde (Was sind Fetische? 1986).



Gemäss Heide Palme (1977) gehen z. B. die Spiegelfetische im Kongo mit Gewissheit auf die Tätigkeit von portugiesischen Missionaren zurück und entsprechen den verbreiteten Spiegel-Reliquiaren des 15. und 16. Jahrhunderts. Der Reliquienkult zeigt viele Gemeinsamkeiten mit dem gerade von Katholiken als Aberglauben abgetanen afrikanischen Fetischismus.

Noch Charles de Brosses benutzt in seiner klassischen Studie von 1760 den Fetischismus dazu, um darin seine aufklärerische Kritik am Katholizismus zu tarnen. Er parallelisierte erstmals die gegenwärtigen Religionen Zentralafrikas mit ägyptischen Zauberkulten und legte damit das religionswissenschaftliche Fundament für alle weitere Fetischismus-Forschung.



Das Werk de Brosses' wurde 1785 ins Deutsche übersetzt und dies erklärt, warum nicht nur Mythenforscher wie Creutzer und Grimm, sondern auch Philosophen wie Kant, Schelling und Hegel bereits mit einiger Selbstverständlichkeit von Fetischismus sprechen konnten.





1842: Karl Marx entdeckt den Fetischismus



Marx fertigte in seiner Bonner Zeit 1842 Exzerpte aus dieser Übersetzung an: die früheste Spur seiner Beschäftigung mit Fetischismus. Auch die Fetisch-Thesen von Feuerbach und Auguste Comte wirkten auf Marx.

Marx entwickelte zahlreiche Fetischismen:

· Geld/ Gold

· Warenzirkulation

· zinstragendes Kapital.



Der fetischistische Bann, in welchem die kapitalistische Gesellschaft steht, hat den Effekt, dass keine Reform, sondern nur eine Revolution die strukturelle Verzauberung der Gesellschaft brechen kann. Darum muss die Kapital-Analyse zu einem Enthüllungsdiskurs werden - in der einen Hand das wissenschaftliche Instrumentarium der politischen Ökonomie, in der anderen das archaische Bild frei vergesellschafteter Menschen. Magisch-fetischistische Verhältnisse sind nicht reformierbar, sondern nur mit einem Schlag abzustreifen.



Aus: Hartmut Böhme: Das Fetischismus-Konzept von Marx und sein Kontext. In: Initial. Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs, 8. Jg., H. 1/2 (1997), 8–24; ferner in Volker Gerhardt (Hrsg.): Marxismus. Versuch einer Bilanz. Magdeburg: Scriptum-Verlag 2001, 289-319; ferner in Iris Därmann, Christoph Jamme (Hrsg.): Fremderfahrung und Repräsentation. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2002, 96-124.





Der Warenfetischismus nach Marx



Warenfetischismus - nennt Marx die Versachlichung der gesellschaftlichen Beziehungen im Kapitalismus.

Der gesellschaftliche Charakter der kapitalistischen Produktion wird, weil durchgängige Warenproduktion, nicht erkannt. Dergestalt werden die Beziehungen der Menschen im kapitalistischen Produktionsprozess nicht als Beziehungen zwischen Menschen, sondern als Verhältnis zwischen Sachen, Dingen gesehen.



«Das Geheimnisvolle der Warenform besteht ... einfach darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein ausser ihnen' existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen.»



Dadurch «werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge.

So stellt sich der Lichteindruck eines Dinges auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings ausserhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding dem äusseren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen Dingen.

Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt.

Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand.

Die nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist.



Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt ... aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.



Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebener Privatarbeiten sind. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtheit. Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen» (Marx/ Engels 23, 86f).

[Das Kapital, 1867, erster Band, Kap. 1, Abt. 4]



Dass dieser Tatbestand der kapitalistischen Produktionsweise nicht eingesehen wird, «ist nur die Gewohnheit des täglichen Lebens, die es als trivial, als selbstverständlich erscheinen lässt, dass ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis die Form eines Gegenstandes annimmt, so dass das Verhältnis der Personen in ihrer Arbeit sich vielmehr als ein Verhältnis darstellt, worin Dinge sich zu einander und zu den Personen verhalten.



In der Ware ist diese Mystifikation noch sehr einfach. Es schwebt allen mehr oder minder vor, dass das Verhältnis der Waren als Tauschwerte vielmehr Verhältnis der Personen zu ihrer wechselseitigen produktiven Tätigkeit ist.

In höheren Produktionsverhältnissen verschwindet dieser Schein der Einfachheit ... Dem Geld (wird) nicht angesehen, dass es ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darstellt aber in der Form eines Naturdings von bestimmten Eigenschaften» (Marx/ Engels 13, 22).



Im Geld (Kapital) erfährt der Warenfetischismus seihe höchste Steigerung. Das Geld dringt im Kapitalismus in alle gesellschaftlichen und privaten Sphären des Menschen ein. «Das Geld, indem es die Eigenschaft besitzt, alles zu kaufen, indem es die Eigenschaft besitzt, alle Gegenstände sich anzueignen, ist also der Gegenstand im eminenten Sinn. Die Universalität seiner Eigenschaft ist die Allmacht seines Wesens; es gilt daher als allmächtiges Wesen ...



Das Geld ist der Kuppler zwischen dem Bedürfnis und dem Gegenstand, zwischen dem Leben und dem Lebensmittel des Menschen. Was mir aber mein Leben vermittelt, vermittelt mir auch das Dasein der andren Menschen für mich. Das ist für mich der andre Mensch ...



Jeder Mensch spekuliert darauf, dem andern ein neues Bedürfnis zu schaffen, um ihn zu einem neuen Opfer zu zwingen, um ihn in eine neue Abhängigkeit zu versetzen und ihn zu einer neuen Weise des Genusses und damit des ökonomischen Ruins zu verleiten. Jeder sucht eine fremde Wesenskraft über den andern zu schaffen, um darin die Befriedigung seines eignen Bedürfnisses zu finden.



Mit der Masse der Gegenstände wächst daher das Reich der fremden Wesen, denen der Mensch unterjocht ist, und jedes neue Produkt ist eine neue Potenz des wechselseitigen Betrugs und der wechselseitigen Ausplünderung.

Der Mensch wird um so ärmer als Mensch, er bedarf um so mehr des Geldes, um sich des feindlichen Wesens zu bemächtigen, und die Macht seines Geldes fällt gerade im umgekehrten Verhältnis als die Masse der Produktion, d. h., seine Bedürftigkeit wächst, wie die Macht des Geldes zunimmt» (Marx/ Engels Erg 1, 563, 546f).



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"Die Erlösung kann nicht verdient, nur empfangen werden, - darum ist sie die Erlösung". -
zuletzt bearbeitet 01.11.2014 05:04 | nach oben springen
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