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Aus: http://www.innovations-report.de/html/be...bericht-83.html
Der Austausch von Informationen ist nicht nur für den Menschen im Informationszeitalter,
sondern für alle Organismen geradezu überlebensnotwendig. Chemische Signale sind eine sehr raffinierte
und weit verbreitete Form der "lautlosen" Kommunikation.
In der AG "Angewandte Zoologie/Ökologie der Tiere" der Freien Universität Berlin um Prof. Dr. Monika Hilker
werden Kommunikationssysteme untersucht, in denen Naturstoffe als Informationsträger dienen.
Dabei konzentrieren sich die FU-Wissenschaftler/innen auf pflanzenfressende Insekten,
die mehr als ein Viertel aller bekannten Arten von Lebewesen überhaupt ausmachen.
Sie treten in Wäldern und im Kulturpflanzenanbau oft als Schädlinge auf.
Kennt man die Kommunikationssignale der Schadinsekten, lässt sich dieses Wissen zu ihrer Bekämpfung nutzen,
indem man etwa ihre Kommunikationsübertragung stört. Vergleichende Studien lassen auch Einblicke in
die Evolution der kommunizierenden Arten zu. Weiß man erst, unter welchen ökologischen
und physiologischen Wirkungsbedingungen chemische Signale produziert,
wahrgenommen und beantwortet werden, lassen sich daraus Rückschlüsse auf die
phänotypische Plastizität genetisch fixierter Kommunikationsstrategien ziehen.
Insekten kommunizieren nicht nur über visuelle und auditive, sondern auch über chemische Signale.
Die Antennen (Fühler) der Insekten sind für die Aufnahme dieser chemischen Signale verantwortlich.
Über Sinneshaare auf den Antennen können Insekten Düfte wahrnehmen.
Die Duftmoleküle dringen durch Poren in die Sinneshaare und werden von Proteinen dorthin transportiert,
wo sie an entsprechende Rezeptoren andocken können.
Bei der chemischen Kommunikation nennt man die informativen Verbindungen allgemein "Infochemikalien".
Solche Infochemikalien, die innerhalb einer Art aktiv sind, heißen "Pheromone".
Infochemikalien, die Informationen zwischen Individuen verschiedener Arten vermitteln,
werden "Allelochemikalien" genannt.
Bei der Untersuchung von "Duftgeflüster" wird bei den Arbeiten in der AG
"Angewandte Zoologie/ Ökologie der Tiere" im wesentlichen zwischen folgenden Informationswegen
unterschieden: 1. dem "Geflüster" zwischen Insekten zur innerartlichen Kommunikation (Pheromone),
2. dem Informationsaustausch über Düfte zwischen Insekten verschiedener Arten (Allelochemikalien) und
3. dem "Duftgeflüster" zwischen Insekten und Pflanzen (Allelochemikalien).
1. DUFTGEFLÜSTER ZWISCHEN INSEKTEN ZUR INNERARTLICHEN
KOMMUNIKATION: PHEROMONE
Viele Insektenarten benutzen zur Kommunikation arteigene chemische Signale:
die Pheromone. Man unterscheidet z.B. Sexual-, Aggregations-, Spur- und Alarmpheromone.
A. Sexualpheromone
Sexualpheromone, die Insekten bei der Partnersuche aussenden, weisen verschiedenartige Duftnoten auf:
Während etwa das Sexualpheromon einer Blattlaus (Myoura viciae) nach Katzenminze riechen kann,
duftet es bei dem Schmetterling Hepialus necta nach Erdbeere. Es lassen sich bei einigen Schmetterlingen
sogar einzelne "Pheromondialekte" nachweisen. Die quantitative Zusammensetzung der verschiedenen
Sexualpheromonkomponenten kann sich lokal von Population zu Population verändern.
Das Wissen über die Sexualpheromone wird heutzutage für die Schädlingsbekämpfung genutzt.
Von verschiedenen Schmetterlingsarten, deren Larven durch ihre Fraßtätigkeit im Obstbau,
in der Land- und Forstwirtschaft großen Schaden anrichten, kennt man die Pheromone der weiblichen Tiere.
Eine Möglichkeit der Nutzung dieser Weibchenpheromone ist die sogenannte Verwirrtechnik.
Dazu werden künstlich hergestellte "weibliche" Pheromone in hohen Konzentrationen ausgebracht.
Die Schmetterlingsmännchen sind dadurch derart verwirrt, dass sie in den hoch konzentrierten synthetischen
Pheromonwolken die Weibchen mit ihren natürlichen Pheromonen nicht mehr orten können.
Dies führt zu einer verminderten Paarungsfrequenz der Weibchen, die entsprechend weniger befruchtete Eier ablegen.
Folglich wird die Zahl der Nachkommen reduziert.
B. Aggregations- und Ablenkpheromone
Aggregationspheromone werden von Insekten insbesondere für das Einberufen von Versammlungen
(Aggregationen) abgegeben. So werden z.B. von vielen Borkenkäfern, die entweder in der Rinde oder
im Holz von Bäumen leben, solche Aggregationspheromone produziert. Wenn sich ein Borkenkäfer
in einen Baum einbohrt, gibt er mit dem aus dem Bohrloch herausfallenden Kot (Bohrmehl)
Aggregationspheromone ab, die weitere Artgenossen (Männchen und Weibchen) an diesen Baum heranlocken.
Wenn eine Ansammlung von Borkenkäfern sich gemeinsam in einen Baum einbohrt,
können Widerstandskräfte des Baumes (wie z.B. verstärkter Harzfluss) besser überwunden werden.
Weiterhin ist in solchen Aggregationen auch die Paarungswahrscheinlichkeit erhöht.
Wenn aber durch die Abgabe der Aggregationspheromone so viele Käfer herangelockt wurden,
dass eine ausreichend hohe Dichte erreicht wurde und weitere angelockte Käfer nur zu verstärkter
Konkurrenz führen würden, können einige Borkenkäfer beginnen, Ablenkpheromone abzugeben.
Diese Ablenkpheromone veranlassen noch umherfliegende Käfer, andere noch unbefallene Bäume anzufliegen.
Bei den Aggregations- und Ablenkpheromonen der Borkenkäfer handelt es sich chemisch
um je nach Art sehr unterschiedliche Verbindungen. Einige Arten nutzen zur Produktion ihrer Pheromone
die Terpene (hier organische Verbindungen aus dem Harz) der Wirtsbäume,
oxidieren diese und können stereoselektiv (je nach räumlicher Struktur der Moleküle) auf ganz bestimmte
Oxidationsprodukte reagieren. Die großflächigen Schäden im Bayerischen Wald sind auf Massenbefall
durch Borkenkäfer zurückzuführen. Aggregationspheromone der Borkenkäfer können prinzipiell zum
sogenannten "Monitoring" genutzt werden, d.h. Überwachung der Populationsdichten durch Ausbringen
# der Aggregationspheromone in Fallen und Kontrolle der Fangzahlen. Ablenkpheromone können
prinzipiell genutzt werden, indem man durch Ausbringen dieser Pheromone versucht, einen Waldbestand
von Borkenkäfern freizuhalten.
C. Spurpheromone
Spurpheromone werden von Insekten insbesondere für Wegbeschreibungen verwendet.
Bei Ameisen werden sie in kleinsten Mengen aus verschiedenen exokrinen Drüsen oder auch anal ausgeschieden.
Die Spur wird direkt auf den Boden oder auf die Pflanze abgegeben.
Die Arbeiterinnen folgen dieser Spur - einem imaginären Dufttunnel - zu Nahrungsquellen
oder einem neuen Nest. Die gelegten Duftspuren besitzen je nach Art unterschiedliche Flüchtigkeit
und müssen immer wieder erneuert werden. Haben z.B. einige Arbeiterinnen Nahrung gefunden,
legen sie eine Spur, der viele weitere Ameisen folgen, die ebenfalls Spurpheromone abgegeben.
Die hohe Konzentration zieht noch mehr Ameisen an. Falls die Nahrung ausgeht, wird die Spur schwächer
und verdunstet. Der "Ameisenverkehr" versiegt. Chemisch sind die Spurpheromone verschiedensten
Substanzklassen zuzuordnen. Spurpheromone sind bei Ameisen art-, oftmals sogar nestspezifisch.
So wird gewährleistet, dass sich die Arbeiterin aus Nest A nicht ins Nest B verläuft.
Die Spurpheromone einiger Ameisen können aber auch von Insekten genutzt werden,
die sich in die Nester der Ameisen "einmieten". Es gibt z.B. eine Schmetterlingsart,
einen Bläuling, dessen Weibchen nur dann Eier an einer Pflanze ablegt,
wenn dort auch die Spurpheromone einer Ameise vorhanden sind.
Die aus den Eiern schlüpfenden Schmetterlingslarven finden über das Ameisenspurpheromon zum Ameisennest.
Die Schmetterlingslarven können sich in das Ameisennest "einmieten" und dort geschützt vor Fraßfeinden leben,
weil sie sich chemisch als Ameisenbrut tarnen können.
Die Schmetterlingslarven produzieren als eine Art "chemisches Tarnkleid" Verbindungen,
die der Ameisenbrut ähneln. Mit Hilfe dieser sogenannten "chemischen Mimikry" können sie unbehelligt
im Ameisennest leben. Einige Bläulingsraupen leben dann im Ameisennest sogar räuberisch
und fressen die Ameisenbrut. Andere Bläulingsraupen verlassen nachts das Ameisennest,
um an ihren Wirtspflanzen zu fressen. Tagsüber verstecken sie sich dann wieder in ihrem Nest.
D. Alarmpheromone
Mit Hilfe von Alarmpheromonen können Insekten lautlosen "Gefahrenalarm" schlagen.
In Verbänden lebende Insekten können bei drohender Gefahr durch z.B. Räuber ihre Artgenossen alarmieren,
so dass diese sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Die in Kolonien auf Pflanzen lebenden
Blattläuse z.B. können bei Angriffen durch räuberische Marienkäfer ein Alarmpheromon über kleine Röhren
auf dem Rücken abgeben, das anderen Blattläusen der Kolonie die Gefahr signalisiert.
Bei Wahrnehmung des Gefahrensignals laufen die Blattläuse aufgeregt hin und her und versuchen,
die Gefahrenstelle zu verlassen. Über die Röhren auf dem Rücken (Siphone) wird neben den Alarmpheromonen
auch klebrige Hämolymphe (das ’Blut’ der Insekten) abgegeben, die zusammen mit dem süßen klebrigen Kot
der Blattläuse im Sommer die Autos verklebt, die unter stark blattlausbefallenen Bäumen parken.
2. DUFTGEFLÜSTER ZWISCHEN INSEKTEN ZUR KOMMUNIKATION VERSCHIEDENER ARTEN:
ALLELOCHEMIKALIEN
Chemische Signale, die dem Informationsaustausch zwischen Organismen verschiedener Arten dienen,
werden zur Abgrenzung von den Pheromonen als Allelochemikalien bezeichnet.
Solche Allelochemikalien können z.B. pflanzenfressende Insekten "unfreiwillig" mit ihrem Kot
oder aus exokrinen Drüsen abgegeben und damit ihre Gegenwart an räuberische Insekten verraten
(Allelochemikalien als"Kairomone"). Weiterhin können Allelochemikalien von Insekten zur Abwehr gegen
Fraßfeinde eingesetzt werden (Allelochemikalien als"Allomone").
Ein berühmtes Beispiel der chemischen Abwehr gegen Fraßfeinde bietet der Bombardierkäfer.
Dieser sprüht seine Abwehrstoffe aus Pygidialdrüsen amHinterleibende heraus direkt auf die Angreifer.
Interessanterweise handelt es sich bei dem Abwehrstoff des Bombardierkäfers (Benzochinon)
um die gleiche Substanz, wie diejenige, die Waldmaikäfer als ihren Sexuallockstoff nutzen.
Bei den Bombardierkäfern allerdings wirkt sie als Schutz gegen Fraßfeinde.
Möglicherweise hat Benzochinon auch bei Waldmaikäfern ursprünglich ausschließlich eine Abwehrfunktion gehabt.
Die zusätzliche Nutzung dieser Substanz im Zusammenhang mit der Partnerfindung könnte ein besonders
sparsames Prinzip der Naturstoffproduktion darstellen: Mit ein- und derselben Substanz könnte damit
ein Waldmaikäfer sich vor Fraßfeinden schützen und seine Partnerfindung organisieren (Wirtschaftlichkeit bei Insekten).
3. DUFTGEFLÜSTER ZWISCHEN INSEKTEN UND PFLANZEN: ALLELOCHEMIKALIEN
Das folgende Beispiel eines raffinierten Informationsaustausches zwischen Pflanzen, pflanzenfressenden Insekten
und deren Antagonisten lässt die Komplexizität der Kommunikationssysteme nur erahnen.
Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass Pflanzen, die von Insekten befressen werden, ihr Duftstoffmuster so verändern,
dass räuberische und parasitische Insekten angelockt werden, die dann die Pflanzenfresser verspeisen.
Die durch Fraß induzierte Veränderung des Duftstoffmusters wird als Hilferuf der Pflanze an die Räuber interpretiert,
sie von den Pflanzenfressern zu "befreien". Die Wissenschaftler/innen um Professor Hilker konnten zeigen,
dass nicht Fraß, sondern schon alleine die Eiablage eines Insekts auf einer Pflanze deren Duftmuster
so verändern kann, dass spezialisierte Eiparasitoide angelockt werden. Sie werden aber nur dann von den
Pflanzendüften angezogen, wenn die Pflanzen auch tatsächlich die "richtigen" Wirtseier tragen.
Derzeit werden zahlreiche Fragen zur Chemie der Signale, zum Mechanismus der Signalinduktion
und zum Ausmaß der systemimmanenten Spezifität auf der Ebene der Pflanze,
der Pflanzenfresser und der Eiparasitoide erforscht.
Ausgewählte Publikationen der AG Angewandte Zoologie/Ökologie der Tiere der FU Berlin zum Thema:
MEINERS, T. & HILKER, M. (2000): Induction of plant synomones by oviposition of a phytophagous insect.
J. Chem. Ecol. 26: 221-232
RUTHER, J., REINECKE, A., THIEMANN, K., TOLASCH, T., FRANCKE, W. & HILKER, M. (2000):
Mate finding in the forest chockchafer, Melolontha hippocastani, mediated by volatiles from plants and
females. Physiol. Entomol. 25: 1-8
WEGENER, R., SCHULZ, S., MEINERS, T., HADWICH, K. & HILKER, M. (2001): Analysis of volatiles
induced by oviposition of a phytophagous insect. J. Chem. Ecol. (im Druck)
RUTHER, J., REINICKE, A. & HILKER, M. (2001): Make love not war: Identification of the
sex pheromone of the forest chockchafer Melolontha hippocastani. Oecologia (im Druck)
Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
Prof. Dr. Monika Hilker, Institut für Biologie der Freien Universität Berlin
(AG Angewandte Zoologie/Ökologie der Tiere), Haderslebener Str. 9, 14163 Berlin-Dahlem,
Tel.: 030 / 838-53918, E-Mail: hilker@zedat.fu-berlin.de
Ilka Seer
. - Was Du aufdeckst, - offenbart sich . -
"Die Erlösung kann nicht verdient, nur empfangen werden, - darum ist sie die Erlösung". -
Das Thema wurde geschlossen. |
Aus: http://de.wikisource.org/wiki/Die_Sprache_der_Insecten
Die Sprache der Insecten:
Bewußtsein im Thier. – Gerechtfertigte Fabeldichter. – Die Sprache der Ameisen.
– Unterhaltungen und Berathungen der Bienen. – Käfergespräche.
Instinct oder Verstand und bewußter Wille?
So lange es ein menschliches Denken giebt, ist diese Frage in Bezug auf das Sein und Bewegen,
die Fähigkeiten und Lebensäußerungen der Thiere ein Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen.
Aber erst von der modernen Naturwissenschaft sind diese Untersuchungen durch scharf geführte Beweise,
durch umfassende Beobachtungen und Forschungen zu Gunsten des Verstandes gegen die
hergebrachte Annahme eines Instincts entschieden worden, so weit man unter Instinct die zweckmäßig,
aber ohne Bewußtsein und Ueberlegung wirkende Verrichtung einer Maschine versteht.
Es kann nichts Fesselnderes geben, als den Gründen nachzugehen,
welche zu dieser in geistiger und sittlicher Hinsicht überaus wichtigen Entscheidung geführt haben.
Auf den ersten Blick freilich werden dem Neuling die dabei ihm offenbarten
Thatsachen aus dem seelischen Leben der Thiere so fabelhaft und unglaublich erscheinen,
daß er Erzeugnisse dichterischer Phantasie vor sich zu haben glaubt.
Fehlt es ihm aber nicht an einiger Ausdauer und Empfänglichkeit, so muß er unter
Anderm allmählich gewahr werden, wie die betreffenden Enthüllungen nicht dem Gehirne
eines Einzelnen entsprungen, sondern in meistens – so weit es die Hauptpunkte betrifft
– übereinstimmender Weise von den verschiedensten, zum Theil geistig hervorragendsten Menschen,
an den verschiedensten Orten und zu den verschiedensten Zeiten auf dem Wege
angestrengtesten Studiums gemacht worden sind. Schon dieser Umstand muß in Bezug auf das
Wesentliche alle aufsteigenden Zweifel beseitigen oder doch bedeutend einschränken
und uns überzeugen, daß wir es in jenen Mittheilungen und den daraus gezogenen Schlüssen
durchaus nur mit Wirklichkeiten zu thun haben.
Zu einem nach allgemein anerkannten Grundsätzen geordneten System der Thierseelenkunde
hat es freilich die Wissenschaft noch nicht gebracht. Aber man kann wohl sagen,
es ist durch eine kaum übersehbare Menge tiefgreifender Einzelforschungen der Schlüssel
gefunden zu den Räthseln der Thierwelt. Nicht allein in Bezug auf die großen und höher
organisirten Thiere hat unermüdeter Scharfblick die Verwandtschaft mit dem Denken und Wollen
des menschlichen Wesens bis zur Unleugbarkeit nachgewiesen, sondern immer tiefer ist
er selbst in die geheimnißvolle Wunderwelt jener kleinen und vielfach so mißachteten Geschöpfe
eingedrungen, die schwirrend und summend die Luft um uns her erfüllen, die mit ihrem kribbelnden
Leben den Erdboden übersäen und die wir auf jedem Spaziergange achtlos unter unsere Füße treten.
Schon von altersher ist freilich das Leben der Insecten einer der anziehendsten Gegenstände
sinniger Naturbetrachtung gewesen, und zu allen Zeiten war es eine mit Leidenschaft betriebene
Liebhaberei Einzelner, sich in diese Welt kleinsten Seins zu versenken.
Um aber sichere Schlüsse aus diesen Beobachtungen herzuleiten,
dazu fehlte jene Methode kritischer Sichtung und vergleichender Prüfung des hier und dort
gesammelten Materials, welche jetzt in der Wissenschaft zur Regel geworden und neuerdings
z. B. von Dr. Ludwig Büchner in einer hochinteressanten Darlegung angewendet wurde,
die vor Kurzem unter dem Titel „Aus dem Geistesleben der Thiere, oder Staaten und Thaten im Kleinen“
in Berlin (bei A. Hofmann) erschienen ist. Unter Bezugnahme auf die große Frage des Instincts und
zu besserer Entscheidung derselben schildert uns Büchner hier nicht etwa das ganze ungeheuere
Reich der Insectenwelt, sondern nur eine beträchtliche Reihe bestimmter Züge aus dem
Leben der Ameisen und Bienen, der Wespen, Spinnen und Käfer verschiedener Art.
Fast jeder einzelne dieser Einblicke fesselt und spannt unsere Aufmerksamkeit in
ungewöhnlichem Grade, aber insgesammt und in ihrer übersichtlichen Nebeneinanderstellung
machen sie einen viel mächtigeren Eindruck, der weit über das Interesse einer bloßen Unterhaltung
hinausgeht. Wer das gelesen hat, der zweifelt sicher nicht mehr, daß ein heller und warmer Strahl
des die Welt erfüllenden Vernunftlichtes auch in jene winzigen Geschöpfchen gefallen und in ihnen
zu einer hohen Stufe bewußten Lebens gekommen ist. Sehen wir unter der Masse der geführten
Beweise zunächst nur einen der einfacheren ein.
An der poetischen Thierfabel als Unterrichtsmittel haben früher manche nüchterne
und verstandesmäßige Pädagogen Anstoß genommen, weil diese Dichtung die
Thiere menschlich sprechen und handeln lasse und damit dem Kinde etwas Unwahres lehre.
Es scheint aber, als ob jetzt Aesop, Lafontaine und Gellert auch nach dieser Seite hin als
gute Realisten zu Ehren kommen sollten. Denn für die ernste Forschung moderner
Naturwissenschaft besteht gar kein Zweifel mehr, daß die Thiere in den Schranken ihres Gesichts-
und Lebenskreises ein dem menschlichen sehr ähnliches Denken und Handeln entwickeln
und in der That auch durch eine besondere Sprache sich gegenseitig verständigen und unterhalten.
Wenn dies in Bezug auf die Säugethiere und Vögel bei allen Kennern bereits als eine ausgemachte Sache gilt,
so sind doch in dieser Hinsicht noch viel wunderbarere Entdeckungen an den kleinen zu Gesellschaften
sich organisirenden Insecten gemacht worden. Gewiß, es ist vollständig erwiesen,
daß diese Thierchen durch gewisse Töne, daß aber viele derselben namentlich durch die an ihren Köpfen
befindlichen, auch noch anderen Zwecken dienenden Fühler mit einander sprechen können und sprechen.
„Zwei Ameisen,“ sagt Büchner, „die mit einander reden und sich unterhalten,
sieht man mit den Köpfen einander gegenüberstehen und sich mit ihren überaus empfindlichen
und beweglichen Fühlern auf das Lebhafteste gegenseitig bearbeiten, an die Köpfe schlagen etc.
Daß sie sich auf diese Weise gegenseitig sehr detaillirte Mittheilungen und zwar
über ganz bestimmte Dinge zu machen im Stande sind, wird durch zahllose Beispiele erwiesen.“
„Ich habe öfter,“ so erzählt der Engländer Jesse, „eine kleine grüne Raupe in die Nähe eines
Ameisenhaufens gebracht. Sie wird sofort von einer Ameise ergriffen, welche sich zu einer andern
Ameise begiebt, nachdem sie vergebliche Anstrengungen gemacht, die Raupe in das Nest hinabzuziehen.
Man sieht nun, wie beide Thierchen mit Hülfe ihrer Fühler eine Unterhaltung zusammen pflegen,
nach deren Beendigung sie sich gemeinsam zu der Raupe begeben, um dieselbe mit vereinten Kräften
in das Nest hinabzuziehen.
Oefter auch habe ich beobachtet, wie sich zwei Ameisen auf dem Wege von und
zu ihrem Neste einander begegneten. Sie bleiben stehen, berühren sich gegenseitig mit ihren Fühlern
und scheinen eine Unterhaltung zu führen, welche sich, wie ich aus guten Gründen vermuthe,
aus den besten Platz zum Fouragiren bezieht.“ So erzählt auch Hague in einem Briefe an Darwin,
daß er durch einen Fingerdruck eines Tages eine Anzahl von Ameisen getödtet habe,
welche aus einem Loche in der Wand täglich zu seinen auf dem Kaminsimse stehenden Blumen
kamen und sich durch Wegbürsten nicht stören ließen.
Die Tödtung hatte zur Folge, daß Neuherbeikommende sofort wieder umkehrten und ihre von der
Gefahr noch nicht unterrichteten Cameraden ebenfalls zur Umkehr zu veranlassen suchten.
Die sich einander Begegnenden hatten eine kurze Conversation, der übrigens nicht ein sofortiges
Umkehren folgte, indem die begegnende Ameise sich zuerst eigene Ueberzeugung zu verschaffen suchte.
Ganz in derselben Weise halten auch die kriegführenden Ameisen Berathung, bevor sie ihre interessanten
Feldzüge beginnen, und theilen auch, wie das vielmals beobachtet wurde, den gefaßten Beschluß
einander mit. Ist eine Ameise hungrig, so theilt sie auch ihr Nahrungsbedürfniß durch Fühlerberührungen
ihren Cameraden mit. Auch die hülflosen Larven werden so gemahnt, das Maul zum Empfange der Nahrung aufzuthun,
und auch die gegenseitige Neigung oder Abneigung giebt sich durch eine solche Geberdensprache kund.
Im Uebrigen ist der Beobachter Landois (Verfasser eines 1874 erschienenen Werkes über die Thierstimmen)
durch seine Untersuchungen zu der Meinung gekommen, daß die Ameisen neben ihrer Geberdensprache
auch eine Laut- und Tonsprache besitzen müßten, wenn dieselbe auch für das menschliche Ohr nicht hörbar ist.
Er warf zum Beispiel eine große lebende Kreuzspinne mitten auf einen sehr belebten Ameisenhaufen.
In einem Nu war der ganze Schwarm alarmirt und zwar mit einer Schnelligkeit, die Landois nur als eine Folge
hörbarer Mittheilung erklären kann. Eine große Anzahl Ameisen stürzte sich auf die Spinne und es entspann
sich ein äußerst heftiger Kampf, der mit der Ueberwältigung derselben endigte.
Auch gelang es diesem Forscher, an dem Hintertheile der Ameisen, namentlich einer bestimmten Art,
einen Ton-Apparat oder ein sogenanntes [263] Raspel-Organ nachzuweisen.
Bei jener Art (Ponera) kann der raspelnde Laut von dem menschlichen Ohre gehört werden,
bei den eigentlichen Ameisen nicht.
Es ist also nicht blos Mittheilungsbedürfniß bei diesen Thierchen vorhanden
– was an sich schon Zeichen eines geistigen Lebens wäre – sondern auch Mittheilungsvermögen,
obgleich dasselbe bei den verschiedenen Gattungen der Ameisen mehr oder weniger reich entwickelt ist.
Wenn ein Wohnungswechsel unternommen werden soll, faßt bei manchen Arten eine Ameise die andre
zwischen ihren Kiefern und trägt sie an den für die neue Wohnung ausersehenen Platz.
Andre Arten wiederum bedürfen einer so drastischen Mittheilung nicht; sie verständigen sich über
den Punkt durch Zeichen oder Gesten. Als viel bedeutender jedoch und wunderbarer erweisen sich die
Leistungen, deren die Mittheilungsorgane der Bienen fähig sind. Wenn wir ihre Sprache auch nicht verstehen,
so ist doch durch die eingehendsten und umfassendsten Untersuchungen festgestellt worden,
daß sie in reichstem Maße vorhanden ist. So haben zweifellos die Wachen, welche die Bienen
während der Sommerszeit Tag und Nacht an den Pforten ihrer Wohnungen unterhalten,
unter ihren verschiedenen Functionen auch die Aufgabe, alle von außen kommenden Nachrichten
in das Innere des Stockes zu befördern. Nach dem Beobachter de Fravière besitzen sie dafür eine
Anzahl verschiedener Tonbiegungen in ihrer durch die Luftlöcher der Brust und des Hinterleibes
erzeugten Stimme. Jede Tonbiegnng hat eine besondere Bedeutung.
Sobald eine Biene mit einer wichtigen Neuigkeit ankommt, wird sie sofort umringt,
stößt zwei oder drei schrille Töne aus und berührt eine Genossin mit den langen,
biegsamen und sehr empfindlichen Tastern oder Fühlern, welche nicht weniger als zwölf
oder dreizehn Gelenke besitzen. Die Genossin giebt die Nachricht sofort auf dieselbe Art weiter,
und alsbald ist die Neuigkeit durch den ganzen Stock verbreitet. Ist dieselbe angenehmer Art, betrifft
sie z. B. die Entdeckung eines Zucker- oder Honigvorraths, oder eines blühenden Feldes u. dergl.,
so bleibt Alles in Ordnung. Dagegen entsteht große Aufregung, wenn die Nachricht einer drohenden
Gefahr einläuft, oder wenn fremde Thiere in den Stock einzudringen drohen etc.
Es scheint, daß solche Nachrichten vor allen andern der Königin mitgetheilt werden,
als der wichtigsten Person im Staate.
Die Sprache der Bienen ist ganz sicher ebenfalls eine Ton- wie eine Geberdensprache,
und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich die Bienen mit Hülfe derselben nicht bloss
im Allgemeinen, sondern über sehr bestimmte und sehr verschiedene Dinge verständigen.
Die Entdeckung irgend eines Zucker- oder sonstigen Nahrungsschatzes an beliebigem Platze
durch eine einzelne Biene hat sofort zur Folge, daß binnen kurzer Zeit eine ganze Schaar hungriger
Bienen daselbst ankommt – was selbstverständlich nur Folge einer bestimmten, durch die erste Biene
an die Cameraden gemachten Mittheilung sein kann. Stellt man, wie der oben erwähnte Landois sagt,
ein Schälchen mit Honig vor einen Bienenstock, so kommen alsbald wenige Bienen hervor,
von denen einige ihre Stimme (tüt, tüt, tüt) erheben.
Diese Stimme ist ziemlich hoch und von derselben Art, wie wenn eine ergriffene Biene
ihre Stimme hören läßt. Auf diesen Ruf kommt sogleich eine große Schaar Bienen aus dem Stocke,
um den gebotenen Honig einzusammeln. Wenn im Frühjahre der Bienenzüchter auf das in die
Nähe der Stöcke von ihm gestellte Wasser aufmerksam machen will – sie bedürfen desselben
zur Bereitung des Futterbreies, wenn der Brutansatz beginnt, und es ist mißlich,
wenn sie es vielleicht aus weiter Ferne herbeiholen müssen – so braucht er nur ein mit Honig bestrichenes
Stäbchen vor das Flugloch zu halten und die wenigen Bienen, welche sich zuerst darauf niederlassen,
nach der Wasserstelle hinzutragen. Diese Wenigen genügen, um bei ihrer Rückkehr in den Stock
das Vorhandensein des Wassers, sowie auch die Stelle selbst, zur Kenntniß der ganzen Colonie zu bringen.
Das beste Mittel zu gegenseitiger Verständigung besitzen aber die Bienen gleichfalls in ihren Tastern oder Fühlern,
mit denen sie sich einander berühren, und zwar jedenfalls in vielfach verschiedener Weise.
Am besten kann man diese Mittheilung durch Fühlerberührung beobachten, wenn man einem Stocke
seine Königin nimmt. Erst einige Zeit, ungefähr eine Stunde nach diesem traurigen Ereignisse wird dasselbe
einem kleinen Theile des Volkes bemerkbar, welcher Theil sodann aufhört zu arbeiten und nun hastig
auf der Wabe hin- und herläuft. Doch gilt dies nur für einen Theil des Stockes und eine einzelne Wabenseite.
Bald aber treten die aufgeregten Bienen aus dem kleinen Kreise heraus, in welchem sie sich anfangs
umhertrieben, und wenn ihnen Gefährtinnen begegnen, so kreuzen sie gegenseitig ihre Fühler und berühren
sich leicht. Die Bienen, welche den Eindruck dieser Fühlerberührnng erhalten haben, werden nun ihrerseits
auch unruhig und bringen ihre Unruhe und Verwirrung durch dieselbe Weise der Mittheilung auch in andre
Theile der Wohnung. Die Unordnung nimmt rasend zu, verbreitet sich auch auf der andern Seite der Wabe,
und zuletzt unter dem ganzen Volke, bis ein allgemeiner Wirrwarr erfolgt.
Ganz ähnliche Beobachtungen, wie an diesen als hochintelligent bekannten Insecten
sind aber auch in der Käferwelt gemacht. So besitzen die sogenannten „Todtengräber“,
gleich der großen Mehrzahl ihrer Käfer-Collegen, einen sehr ausgebildeten Raspel-Apparat,
mit dessen Hülfe sie einen abgesetzten, schnarrenden Ton hervorbringen,
der ihnen unter Anderem vielleicht dazu dient, sich gegenseitig zur Verrichtung ihres
gemeinschaftlichen Geschäftes herbeizurufen. Jedenfalls können sie sich aber auch vermittels
ihrer Fühler gegenseitig verständigen oder einander Mittheilung machen.
Dasselbe gilt indeß für alle Käfer ohne Ausnahme, und es kann wohl keinem Zweifel unterliegen,
daß dieselben ihre oft sehr mannigfaltig und selbst sonderbar gestalteten Fühler, ganz in derselben
Art wie Bienen und Ameisen, zu gegenseitiger Verständigung benutzen, wenn auch die Mittheilungen,
die sie einander zu machen haben, jedenfalls weit einfacherer Natur sind, als bei den genannten Thieren.
An Dr. Büchner schrieb ein Herr Goelitz aus Marysville in Nordamerika darüber Folgendes:
„Im Juli des vorigen Sommers fand ich eines Tages auf meinem Felde einen Haufen frischer Erde
gleich einem Maulwurfshügel, auf welchem sich ein schwarz- und rothgestreifter Käfer mit langen Beinen
und von der ungefähren Größe einer Hornisse abmühte, die Erde vor einem Loche,
das gleich einem Stollen in die Anhöhe führte, fortzuschaffen und den Platz zu ebnen.
Nachdem ich diesem Treiben eine Weile zugesehen hatte, bemerkte ich einen zweiten Käfer gleicher Art,
welcher aus dem Innern des Loches ein Häufchen Erde bis an die Oeffnung schaffte und dann wieder
im Berge verschwand. Alle vier bis fünf Minuten kam ein Haufen aus dem Loche, welchen der erstgenannte
Käfer fortschaffte. Beinahe eine halbe Stunde war ich Zeuge dieser Experimente.
Dann kam[1] der Käfer, welcher inwendig gearbeitet hatte, an das Tageslicht und lief zu seinem
Cameraden hin. Beide steckten nun die Köpfe zusammen und trafen offenbar eine Verabredung,
denn gleich darauf wechselten sie die Arbeit. Derjenige, welcher draußen gearbeitet, ging in den Berg,
und der andere übernahm die Arbeit außerhalb. Noch eine Weile sah ich zu und entfernte mich dann
mit dem Gedanken, daß diese Thierchen sich verständigen können wie die Menschen.“
Perth erzählt: „Zu einem im Garten auf dem Rücken liegenden Maikäfer kam ein Goldlaufkäfer,
um ihn aufzufressen, konnte ihn aber nicht zwingen, lief in das nächste Bosqnet und kam
mit einem Cameraden zurück, wo dann Beide den Maikäfer überwältigten und nach ihrem
Schlupfwinkel schleppten.“ Auch von vielen anderen Käfern hat man beobachtet, daß sie sich zu
gegenseitiger Hülfeleistung herbeirufen; in auffallendcr Weise ist dies bei dem sogenannten Pillen
-Käfer (Atteuchus oder Scarabaeus sacer) der Fall, dessen merkwürdiges Gebahren den Alten so
hohen Respect, einflößte, daß ihm die Aegypter göttliche Verehrung erwiesen.
Dieser Atteuchus hat nämlich die merkwürdige Gewohnheit, ein bis zwei Zoll große Kugeln aus
Mist anzufertigen, in denen er seine künftige Brut unterbringt, und welche er so lange vor sich herrollt,
bis sie rund und fest geworden und an den Ort gekommen sind, wo er sie einzuscharren gedenkt.
Um diesen Platz zu finden, hat der Käfer oft einen langen Weg zurückzulegen und überwindet dabei
intelligent die Terrainschwierigkeiten. Bisweilen jedoch kommt es vor, daß die Kugel in ein Loch
oder in eine Unebenheit hinabfällt, wo sie der Käfer nicht haben will und aus der er allein oder mit Hülfe
des Gatten sie nicht befreien kann. Hier sieht man plötzlich den Käfer seine Kugel verlassen,
seine Flügel ausspannen und sich in die Lüfte erheben. Hat man sodann Geduld genug,
die Sache ein wenig abzuwarten, so sieht man den Flüchtling nach einiger Zeit wieder zurückkehren,
und zwar in Begleitung von zwei, drei, [264] vier oder fünf Cameraden, die nun gemeinschaftlich
die Kugel wieder in’s Rollen bringen. Am richtigen Platze angekommen, wird sodann mit den starken
gezähnten Vorderfüßen, die wie ein Grabscheit wirken, ein Loch in die Erde gegraben,
die Kugel hineingesenkt und die Erde wieder darüber hingescharrt.
Wir haben, wie gesagt, aus der Fülle der dargelegten Ermittelungen für heute nur den einen Punkt
hervorgehoben und glauben, es wird Vielen neu sein, wenn sie hören, daß es sich nicht mehr um
Vermuthungen oder Phantasien, sondern um wissenschaftlich beglaubigte Feststellungen handelt,
wenn in gewissem Sinne von einem Sprechen der Thiere mit einander die Rede ist.
Im Uebrigen aber bietet Büchner in seinen Schilderungen aus dem Geistesleben der Insecten
noch eine so erhebliche Zahl anderweitiger Beobachtungen und Aufschlüsse merkwürdigster Art,
daß wir uns im Weiteren noch einmal auf das Feld dieser vielfach so offen sich bietenden und
doch noch den Meisten dunkel gebliebenen Lebenssphäre begeben werden.
Nur eine bessere Aufklärung über das Seelen- und Empfindungsleben unserer thierischen Mitgeschöpfe,
an sich schon ein unerschöpflicher Quell reichster Belehrung und Erhebung, wird allmählich zu einer
von Sentimentalität freien, aber achtungs- und rücksichtsvolleren Behandlung der Thiere führen und damit
unendlich veredelnd auf die Gesittung und Humanisirung der zukünftigen Geschlechter zurückwirken.
Das wissenschaftliche Material zu einer solchen Erweiterung unseres Gesichtskreises ist in sehr
ausgedehntem Maße geliefert. Machen denkende Menschen sich dasselbe nur theilweise zu eigen,
so werden sie es gewiß nicht mehr als eine Uebertreibung belächeln können, wenn ein bewährter
Kenner dieses Naturbereiches sagt: „Bei jedem Schritte auf dem ungeheuren Gebiete des Thierstudiums
kommt man von Ueberraschung zu Ueberraschung, da man bei den Thieren Alles das wiederfindet,
was man soeben erst in den geheimsten Falten des menschlichen Geistes und Herzens entdeckt hat.
Die Temperamente und Leidenschaften, alle guten und schlechten Eigenschaften des Menschen
steigen nacheinander vor uns aus dem weiten Meere des thierischen Lebens empor, und überall zeigt
sich dem erstaunten Beobachter das treue Abbild unseres ganzen gesellschaftlichen, künstlerischen,
wissenschaftlichen und politischen Lebens.“
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Studie: Auch Insekten empfinden vermutlich Schmerz:
Archivbild: Gottesanbeterin.
Copyright: A. Müller für grewi.de
London (Großbritannien) – Allgemein wird die angebliche Schmerzunempfindlichkeit von Insekten als Rechtfertigung für einen eher unbedarften und kaum von moralisch-ethischen Grundsätzen beeinflussten Umgang mit Insekten genutzt. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie stellen diese Vorstellung nun jedoch in Frage. Schmerzempfinden auch bei Insekten könnte enorme Konsequenzen für unseren Umgang mit Ameise, Käfer, Schmetterling & Co haben.
Tatsächlich mehren sich die Hinweise dafür, dass auch das zentrale Nervensystem zahlreicher Insekten ein deutlich intensiveres Schmerzempfinden der Tiere erlaubt, als bislang angenommen. Sowohl Wissenschaftler wie auch Laien, nutzen Insekten mit dem Verweis auch die vermeintliche Schmerzunempfindlichkeit auch entsprechend unbesorgt – sei es nun für Laborexperimente (Fruchtfliege & Co) bis hin zu Gartenfreunden und Anglern oder auch nur dem verfehlten Schlag mit die Fliegenklatsche.
Wie das Team um Mathilda Gibbons von der Queen Mary University in London aktuell im Fachjournal „Proceedings oft he Royal Society B“ (DOI: 10.1098/rspb.2022.0599) berichtet, fuße die Annahme der Schmerzunempfindlichkeit von Insekten lediglich auf einer eher schwachen wissenschaftlichen Ausgangslage.
Hintergrund
Wie höhere Tierarten, so reagieren natürlich auch Insekten auf Gefahrenreize und sind darum bemüht, durch Flucht oder Abwehr möglichen physischen und biologischen Schaden zu vermeiden – sei dies angesichts extremer Temperaturen, Druck, physischer oder chemischer Angriffe usw. Ob aber auch Insekten Schmerz wie wir Menschen und andere Säugetiere über ihre zentrales Nervensystem wahrnehmen können, oder ob ihre Reaktion auf die Reize lediglich lokal begrenzt ist (wenn ihnen etwa ein Fühler, Flügel oder Bein ausgerissen wird), diese Frage wurde von Wissenschaftlern und Wissenschaftlern mehrheitlich bislang kontrovers bis verneinend debattiert.
Tatsächlich verfügen Insekten im Vergleich mit Säugetieren über ein wesentlich einfacher strukturierteres zentrales Nervensystem und nur über einen vergleichsweise geringen Anteil von Hirnzellen, die für davon übermittelte Informationen überhaupt zuständig sind. Konkret fehlen Insekten sogar Opioid-Rezeptoren, wie sie im Hirn u.a. von Säugetieren für die Schmerzkontrolle verantwortlich sind.
In ihrer Arbeit zeigen Gibbons und Kollegen nun aber, dass dies nicht bedeutet, dass Insekten nicht doch über einfachere Varianten der dennoch gleichen Kapazitäten verfügen. Zu nennen sei hier beispielsweise die sogenannte Nozizeption, also eine Wahrnehmung von Reizen, die den Körper potenziell oder tatsächlich schädigen. Auch mittels dieser können Schmerzen wahrgenommen werden, es handelt sich aber über einen völlig anderen Prozess wie jener, der von den Opioid-Rezeptoren gesteuert wird. Auch wir Menschen kennen deren Wirkung, wenn wir etwa einen Folgeschmerz erst deutlich später Empfinden als das eigentliche Ereignis. Auf diese Weise ermöglicht es unserer Körper uns, trotz einer Verletzung überlebensnotwendige Aufgaben zu erfüllen, obwohl der Schmerzstimulus eigentlich enorm ist. Als nozifensive Reflexe, bezeichnen Neurowissenschaftler motorische und vegetative Reflexe auf noxische Reizung v.a. der Haut, die der Schadensabwehr dienen.
Da bislang unbekannt war, ob und wie Nozizeption auch bei Insekten mit Schmerzempfinden einhergehen, haben die Forschenden untersucht, in wieweit Insekten die Fähigkeit haben, Nozizeption zu kontrollieren: „Tatsächlich zeigen die Verhaltensbeobachtungen, dass Insekten tatsächlich ihr nozifensives Verhalten steuern können“, erläutert die Studie. „Eine derartige Modulation wird zumindest teilweise vom zentralen Nervensystem der Insekten kontrolliert und deren Informationsübermittlung vom Hirn verarbeitet.“
Hierzu haben die Forscherinnen und Forscher spezifische Neuropeptide ausgemacht, die von den Insekten währen traumatischer Ereignisse erzeugt werden, die dann vermutlich schmerzunterdrückend ähnlich wirken, die Opiate bei uns Menschen.
Zum Thema
Ein weiterer Hinweis auf vorhandenes Schmerzempfinden bei Insekten sei die Tatsache, dass Insekten wie andere Tiere (…und wir Menschen) für bestimmte Reize oder Bedrohungen sensibilisiert werden können. Werden beispielsweise Fruchtfliegen hohen Temperaturen ausgesetzt, so beginnen sie auch zukünftig schneller auf Hitze zu reagieren als davor. Tatsächlich sind einige an dieser Sensibilisierung beteiligten Moleküle die gleichen, wie beim Menschen. Zudem haben die Forschenden mögliche Wege identifiziert, wie nozizeptive Informationen an das Insektenhirn übertragen werden können.
Auch der berühmte sexuelle Kannibalismus unter Gottesanbeterinnen könnte Fragen zum Schmerzempfinden von Insekten in dieser Richtung beantworten, wenn männliche Exemplare als Reaktion auf die versuchte und drohende Enthauptung durch ihre Partnerin, ihr eigenes Paarungsverhalten intensivieren statt zu fliehen oder sich gar zu wehren. „Bislang wurde gerade dieses Verhalten als Beweis für fehlendes Schmerzempfinden gedeutet. Tatsächlich scheint es aber viel eher zu zeigen, dass Insekten in der Lage sind, ihre Verhaltensbedürfnisse zu priorisieren und unter bestimmten Umständen ihre nozifensives Verhalten zu reduzieren“, erläutern die Forschenden. Dies wiederum deute auf eine zentralisierte Reaktion, die dann wiederum Schmerzempfinden sogar wahrscheinlich mache. Allerdings gestehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch ein, dass noch nicht klar sei, wie der Schmerz im Insektengehirn verarbeitet wird.
Recherchequelle: RoyalSocietyPublishing
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