Die Erfindung des Hexereideliktes:
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Die Erfindung des Hexereideliktes:

in Hexen - weise Frauen - Bewahrerinnen. - 17.10.2009 17:16
von Atlan • Nexar | 15.548 Beiträge

"Ein historischer Abriss":

1. Die traditionelle Vorstellung vom Schadenzauber
2. Die Haltung der christlichen Kirchen vor dem hohen Mitelalter
3. Die Lehre vom Dämonenpakt
4. Vom Ketzerprozess zur Hexenverfolgung
5. Wie das Wort Hexe entstand
6. Der Realismus und der Hexenflug
7. Traditionelle Magievorstellungen während der Verfolgungszeit
8. Die Rolle der Kirchen
9. Justizmorde aus Eigennutz


:idea: Vor dem späten Mittelalter gab es keine Hexen!

Wie das? Ist der Schamanismus etwa nicht in fast allen Naturreligionen gängige Praxis, auch in denen des alten Europas? Gibt es nicht überall, wo ein magisches Weltbild vorherrscht, neben wohltätiger Magie auch Schadenzauber? Ähneln sich nicht überall auf der Erde die Vorstellungen von Magie und Hexerei in verblüffender Weise, trotz aller kulturellen Unterschiede? Stammt unser Wort Hexe etwa nicht vom germanischen Hagazussa, Zaunreiterin? Des Rätsels Lösung: In den Hexenprozessen bezog sich das Wort "Hexe" ausdrücklich auf das christlich-theologisch definierte Hexereidelikt, dessen zentraler Punkt der Teufelspakt war. Der traditionell-volkstümliche Schadenzauber spielte allenfalls im Vorfeld der Anklage eine Rolle, für die Prozesse war derjenige der christlichen Theologie juristisch verbindlich. Unschuldige Opfer der Justizmorde waren deshalb nicht nur die aus Neid, Misstrauen oder Angst vor Fremden und Außenseitern Denunzierten, und auch nicht nur jene Hebammen, weisen Frauen, Kräuterkundigen, die trotz - oder gerade wegen - ihrer hilfreichen Dienste verfolgt wurden. Nicht schuldig im Sinne der Anklage waren auch alle unbequemen Denkerinnen und Denker, die für ihre Ideen als Hexen bestraft wurden, alle "ketzerische" Magier und Mystiker, und selbst die heimlichen Anhänger der alten heidnischen Religion. Auch Scharlatane und Betrüger waren, was immer sie sich zuschulden kommen ließen, der Hexerei unschuldig. Sogar bekennende Schwarzmagier und Schadenzauberer hätten, legt man das theologisch begründete Hexereidelikt - etwa im Sinne der Hexenbulle Papst Innozenz VIII. - zu Grunde, eigentlich vom Hexereivorwurf freigesprochen werden müssen!

:arrow: Die traditionelle Vorstellung vom Schadenzauber

Alle heidnischen Kulturen des alten Europas - die Kelten, Germanen, Slawen usw., aber auch die antiken Griechen und Römer - waren von der Kraft der Magie überzeugt. Zauberei war für unsere Vorfahren nichts Übernatürliches, sondern eine ganz normale Fähigkeit, wie etwa die Fähigkeit, Musik zu machen: Im Prinzip kann es jeder erlernen, aber einige können es besser als andere. Wer zaubern kann, kann seine Fähigkeit zum Schadenzauber missbrauchen. Der Schadenzauber galt, gemäß den magischen Weltbild dieser Kulturen, als normale Straftat. Selbst im alten Rom wurde Schadenzauber gesetzlich unter Strafe gestellt. Ob man jemanden mit der Waffe verletzte oder magisch angriff, ob man ein Getreidefeld abbrannte oder die Ente auf magischen Weise vernichtete, war im Rechtsempfinden des heidnischen Europa eins. Es gab Menschen, die sozusagen beruflich mit Magie umgingen - Priester und Priesterinnen, Seherinnen, Heiler und Heilerinnen, aber auch Hirten und Handwerker wie Schmiede. Und es gab Schamanen, vor allem im finno-ugrischen Kulturraum. Bei fast allen europäischen Völkern lassen sich schamanische Praktiken wie Trancereisen in die Anderswelt nachweisen. Wir würden sicherlich viele dieser Alltagsmagier Hexen nennen. Aber selbst wenn eine Kräuterfrau gleichzeitig Hebamme, Heilerin, Zauberin und Zaunreiterin mit schamanischer Fähigkeit war, mithin also dem modernen Hexenbegriff entsprach, dann war sie im Verständnis ihrer Zeit eben Kräuterfrau, Hebamme, Heilerin, Zauberin und Zaunreiterin, und nicht etwa Hexe. Noch in der frühen Neuzeit bezeichnete der Volksmund magiebegabte Menschen als Zauberer oder Zaubersche, weise Frauen, Drudner oder Druden (wohl abgeleitet von Druide), in Norddeutschland auch als Wicker oder Wickersche, aber nicht als Hexen. Im Volk wurde nach wie vor zwischen wohltätiger "weißer Magie" und schadenbringender "schwarzer" Magie unterschieden Auch bei Geistern, Feen und Dämonen unterschied man zwischen Holden und Unholden. Diese volkstümlichen Magievorstellungen blieben im Volk erstaunlich lange lebendig, auch zur Zeit der großen Hexenverfolgung. Je weiter allerdings das vorchristliche magische Weltbild in Vergessenheit geriet, desto mehr degenerierten die alten Bräuche zum unverstandenen Wunder- und Aberglauben. Magie wurde den einfachen Menschen immer unheimlicher.

:arrow: Die Haltung der christlichen Kirchen vor dem hohen Mittelalter

Bis ins 12. Jahrhundert galt Magie kirchenoffiziell als "heidnischer Aberglaube". Man berief sich auf den Kirchenvater Augustinus (354 - 430), der Zauberei für unmöglich hielt: Magie war nur als übernatürliches Wunder vorstellbar, und nur Gott allein kann Wunder bewirken. Trotzdem ist es falsch, anzunehmen, das christliche Mittelalter vor der Zeit der Hexenverfolgung hätte Magie nicht gekannt, der "Hexenwahn" sei mithin ein "Rückfall" in heidnisch-abergläubische Vorstellungen gewesen. Die Missionare des frühen Mittelalters wollten nicht nur Anhänger zu gewinnen, sondern sie mussten auch alle anderen Kulte und Religionen ersetzen und auslöschen, wollten sie nicht gegen das Erste Gebot - "Du sollst keine anderen Göttern neben mir haben" - verstoßen. Das geschah nicht selten mit robuster Gewalt. Die Folge: Das in der Regel unfreiwillig christlich gewordene Volk übte seine alte Bräuche heimlich weiter aus, manchmal in christlicher Verkleidung. Geschickte Missionare wussten jedoch, dass man eine neue Religion nicht allein mit Zwang einführen konnte, sondern sie geschmeidig an die Vorstellungswelt der neuen Schäfchen anpassen musste. Gewissen Formen von Magie wurden deshalb von der frühmittelalterlichen Kirche übernommen, trotz aller Bekämpfung des "heidnischen Aberglaubens". Hinzu kommt, dass die zahlreichen Wunder- und Zaubergeschichten der Bibel ihren Eindruck auf die Gläubigen nicht verfehlten. Im Laufe der Überlieferung nahmen die Heiligenlegenden immer magischere Züge an. Ein Missionar, der magisches Denken in jeder Form verdammt hätte, wäre deshalb unglaubwürdig gewesen. Das Weltbild der Kirche war spätestens seit der Zeit Karls des Großen mit magischen Vorstellungen und Wunderglauben regelrecht durchtränkt. Der damals einsetzende Reliquienkult ist beispielsweise eine Form des "Pars Pro Toto"-Zaubers, wie man sie auch aus dem Voodoo kennt: Ein Teil steht für das Ganze, der Zahn oder das Gewand eines Heiligen ist heilsbringend, wie es der lebendige Heilige gewesen sein soll. Für weite Teile der Bevölkerung dürfte das "christliche Mittelalter" ohnedies weit weniger christlich gewesen sein, als man dies aufgrund der Literatur dieser Zeit vermuten könnte. Der spätantike Rationalismus der Kirchenväter war theologische Theorie und außerhalb von schützenden Klostermauern kaum zu finden. Im christianisierten Volk waren die alten heidnischen Magiepraktiken erstaunlich zählebig. Damit blieb auch der Glauben an schädlichen Zauber lebendig, weshalb es nach wie vor Anklagen gegen Schadenzauberer gab. Und manchmal wurden die vermeintlichen Schadenzauberer hingerichtet bzw. gelyncht. So wurden im Jahr 1090 bei Freising drei Wettermacherinnen verbrannt. Manches an diesem Vorgang erinnert an die späteren Hexenprozesse, allerdings akzeptierte die Kirche diese Hinrichtungen damals noch nicht, sondern bezeichnete die Frauen als "Märtyrerinnen".

:arrow: Die Lehre vom Dämonenpakt

Spätestens seit Augustinus stand die christliche Theologie vor dem Problem, dass sie einerseits Zauberei - von Menschen aus eigenen Kraft bewirkte "Wunder" - verwarft, andererseits magisches Geschehen grundsätzlich zulassen musste, da es ja in der Bibel bezeugt wird. Der von Augustinus gewählte Ausweg war folgenschwer: Wunder können nur von Gott bewirkt werden, sie sind für den Menschen nicht verfügbar, der nur auf die göttliche Gnade hoffen kann. Aber der gefallene Engel, der Teufel, und seine Dämonen, haben mit Billigung Gottes ihre von Gott verliehenen magischen Fähigkeiten behalten. Zauberische Rituale und magische Gegenstände (z. B. Amulette) sind nach Augustinus an sich wirkungslos. Sie dienen aber als eine Art Kommunikationsmittel mit den Dämonen und bewirken den Abschluss eines Dämonenpaktes durch den Willen des Zaubernden und die dem Dämon gegebenen Zeichen. Der einflussreichste scholastische Theologe, Thomas von Aquin (1225 - 1274), baute die Pakttheorie aus und wendete sie auch auf den bislang meist tolerierten magischen Volksglauben an. Neben dem ausdrücklichen Dämonenpakt (pacta expressa) gibt es nach Thomas auch einen stillschweigenden Pakt (pacta tacita). Jede noch so kleine magische Handlung sah er auf einen Teufelspakt begründet, auch wenn der Ausübende das nicht weiß. Jede Art von Zauberei ist Teufelswerk, so etwas wie wohltätige "weiße" Magie gibt es nicht. Noch vor Thomas setzte sich unter den Scholastikern die auf Aristoteles zurückgehende Vorstellung durch, es gäbe eine unvollkommene "sublunare" Welt, in der die uns bekannten Naturgesetze gelten, und die "translunare", vollkommene himmlische Welt jenseits der Mondumlaufbahn. Für die christliche Dämonologie hieß das: Der Teufel und seine Dämonen können in der unvollkommen-sündhaften irdischen Welt mit Billigung Gottes alles bewirken, der Teufel ist Herr der Welt und nur mit Gottes Hilfe kann man ihm entrinnen. Eine weitere Folge war die bis heute nachwirkende Vorstellung vom "Übernatürlichen". Es gibt das mit dem gesunden Alltagsverstand und der "rechten" christlichen Doktrin erklärliche natürliche Geschehen, und Geschehnisse, bei denen es nicht mit "rechten Dingen" - übernatürlich - zugeht. Jede außergewöhnliche Fähigkeit, selbst wenn es die Fähigkeit war, Kranke heilen zu können, könnte übernatürlich sein und war damit nach der Dämonenpaktlehre immer verdächtig, Teufelswerk zu sein.

:arrow: Vom Ketzerprozess zur Hexenverfolgung

Bis zum 11. Jahrhundert wurden Häresie - Ketzerei - wie auch Zauberei nur mit einfachen Kirchenbußen geahndet. Erst danach häuften sich die Ketzerhinrichtungen. Ursache waren blutige Kreuzzüge der Kirche und mit ihr verbundener Fürsten gegen Glaubensabweichler, die oft auch politische Dissidenten waren, wie die Hussiten in Böhmen oder die Albigenser in Südfrankreich. Teilweise wurden die religiösen Praktiken der "Ketzer" von der katholischen Kirche als Gotteslästerung gesehen, teilweise sagte man den Rebellen aus propagandistischen Gründen brutale Ritualmorde und teufelsbündlerische Praktiken nach - eine genaue Parallele zur Judenverfolgung der Kreuzzugszeit. Die für die Aufdeckung von Ketzereien geschaffene Institution, die Inquisition, wurde ab dem 13. Jahrhundert zur eigentlichen Waffe der Kirche gegen die Zauberei. In mancher Hinsicht war das bald auch von weltlichen Gerichten übernommene Inquisitionsverfahren ein juristischer Fortschritt gegenüber dem sehr willkürlichen und oft auf Praktiken wie Gottesurteile und Zweikämpfe zurückgreifenden mittelalterlichen Recht: Glaubwürdige Indizien, Zeugenaussagen und vor allem das Verhör des Angeklagten sollten zur "Wahrheitsfindung" dienen. Gemäß der Mentalität einer Zeit, in der die Ohrenbeichte zur Pflicht eines Christenmenschen erhoben wurde, galten Indizien wenig, Zeugenaussagen nicht viel, das Geständnis nahezu alles. Ohne das Geständnis des Angeklagten durfte bei Kapitalverbrechen kein Urteil gefällt werden. Damit geriet ein zuvor wenig benutztes Prozessmittel in den Vordergrund: die Folter. Vor allem bei Majestäts- und Ketzereiprozessen, bei denen es möglichst keine Freisprüche "mangels Beweisen" geben durfte, wurde fortan von der Folter reger Gebrauch gemacht. Ein Geständnis um jeden Preis war das Ziel des Prozesses, nicht mehr der Nachweis des Verbrechens, das bei Ketzereidelikten stillschweigend vorrausgesetzt wurde. Bei einem Ketzer stand de facto bei Anklage der Schuldspruch fest. Das heißt nicht, dass damit sogleich eine allgemeine Hexenverfolgung einsetzte. In Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum gab es bis ins 15. Jahrhundert hinein fast nur traditionelle Zaubereiprozesse, bei denen es meist um Liebeszauber, aber auch um Schadenzauber gehen konnte. Zauberei ohne böse Absicht war im Sachsenspiegel (um 1225) noch nicht strafwürdig. Noch Anfang des 14. Jahrhunderts wurden Ketzerei, Zauberei und Strigenvorstellungen (wie auch Vampirismus, Wiedergänger, Werwölfe) gemeinhin getrennt gesehen. Das änderte sich mit der systematischen Verfolgung der "Ketzer". Nach der theologischen Doktrin gab es zwischen heidnischen Götzendienern, ketzerischen Teufelsanbetern und Zauberern keinen Unterschied. In der päpstlichen Bulle "Super illus specula" von 1326 wurden dann Ketzerei und Teufelspakt gleich gesetzt. Der religiöse und politische Gegner wurde damit im Wortsinn verteufelt.



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"Die Erlösung kann nicht verdient, nur empfangen werden, - darum ist sie die Erlösung". -
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RE: Die Erfindung des Hexereideliktes:

in Hexen - weise Frauen - Bewahrerinnen. - 13.12.2009 04:44
von Atlan • Nexar | 15.548 Beiträge

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