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#16

RE: Geisterlinks:

in Geister. - 28.10.2018 03:39
von Adamon • Nexar | 15.454 Beiträge


Abb. 14: Der Küchenboden wurde mit einer Plexiglasscheibe bedeckt und versiegelt. Copyright/Quelle: Archiv IGPP

Gegen Ende 1972 änderte sich die öffentliche Meinung wieder zugunsten der anomalistischen Hypothese, noch bevor die vielbeachtete parapsychologische Konferenz am 16. und 17. Juni 1973 in Barcelona stattgefunden hatte.[38] Benders Einbeziehung in den Fall wie auch sein Vortrag in Madrid mögen dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, weil er als prominenter internationaler Experte angesehen wurde.[39] Argumosa selbst gab ein Seminar zum Thema Parapsychologie an der Universidad Autónoma de Madrid (UAM). Benders Übersetzerin sprach von „paranormalen Wellen (, die) immer höher schlagen“ in dem Land.[40]
Am 10. und 11. März 1973 machte eine Gruppe von etwa 150 Studenten der Universidad Autónoma de Madrid in Begleitung von Argumosa und José de Solas, einem Professor der Philosophie, eine Exkursion nach Bélmez, um parapsychologische Experimente (EVP-Aufnahmen) vor Ort durchzuführen. Dabei wurden etwa 30 Personen Zeugen, wie drei Gesichter vor ihren Augen auf dem Boden erschienen. Die Gesichter wurden fotografiert. Sie verschwanden allerdings nach wenigen Stunden wieder (Argumosa & Ramiro de Pano, 2014: 326–327, 329, 383 [Endnote 79]).[41]
Argumosa schlug dem Bürgermeister von Bélmez vor, für die Familie Pereira einen neuen Küchenraum zu bauen, um parapsychologische Experimente in der ursprünglichen Küche leichter durchführen zu können, ohne das Alltagsleben der Pereiras allzu sehr zu stören. Er würde die Hälfte der Kosten übernehmen.[42] Der Vorschlag wurde dann während der ersten Monate des Jahres 1973 realisiert.[43] Bender allerdings war nicht sehr überzeugt vom Sinn dieser Maßnahme. Er schrieb in einem Brief an seine Übersetzerin Renate Göhler: „Es wäre wahrlich besser, ein solches Experiment (er bezieht sich auf das gescheiterte experimentum crucis; G. M.) einmal exakt durchzuführen, als neue Zimmer zu bauen, was eventuell die ‚okkulte‘ Atmosphäre des Hauses stören könnte.“[44] Auch in der neu gebauten Küche erschienen Gesichter.[45]



Abb. 15: Bender interview Maria Gómez im September 1973. Zwischen den beiden befindet sich die Österreichische Gräfin Maria Grundermann von Falkenberg, die als Übersetzerin fungierte. Copright/Quelle: Archiv IGPP


Während seines dritten Besuchs in Bélmez im September 1973 versuchte Bender, eine weitere Replikation des Experiments zu dokumentieren, wobei dieses Mal auf die problematische Abdeckung des Bodens verzichtet wurde. Bender wurde, wie schon erwähnt, von einem deutschen Fernsehteam begleitet. Es war beabsichtigt, Interviews mit den Studenten sowie den beiden Reportern, die die ‚Materialisation‘ von Gesichtern beobachtet hatten, vor der Kamera durchzuführen.[46] Am wichtigsten war allerdings, dass sie sich spektakuläre Filmaufnahmen während des Öffnens des versiegelten Raums und die Verifizierung von neu erschienenen Gesichtern unter den kontrollierten Bedingungen erhofften. Fotografien von einzelnen markierten Quadranten des Fußbodens waren angefertigt und der Raum am 23. Juli versiegelt worden – alles dokumentiert von einem anwesenden Notar.[47] Die Resultate entsprachen jedoch nicht den Erwartungen. Einige Veränderungen in den schon bestehenden Gesichtern konnten zwar beim Vergleich mit den Fotografien, die vor der Versiegelung des Raums gemacht worden waren, entdeckt werden, und ein kleines Gesicht scheint auch verschwunden zu sein. Jedoch war die Qualität dieser Fotografien zu schlecht, um daraus zuverlässige Schlüsse hinsichtlich der Beweislage zu ziehen.[48]
Bender war von der paranormalen Qualität der Phänomene überzeugt, sah sich jedoch gezwungen, zu konstatieren: „Technical obstacles prevented reaching intended highest level of documentary evidence.“[49] (“Technische Hindernisse verhinderten das beabsichtigte höchste Niveau dokumentarischer Beweise.”)
Zwar war dies tatsächlich Benders letzter Besuch in Bélmez, doch hatte er sich überlegt, 1974 ein weiteres Experiment unter noch besser kontrollierten Bedingungen durchzuführen, etwa während der Zeit des dritten Jahrestags des ersten Erscheinens der Gesichter.[50] Allerdings wurde dieses Experiment, das die Installation einer Zeitrafferkamera mit einschließen sollte, nicht realisiert (mögliche Erklärungen werde ich im Abschnitt „Abschließende Überlegungen“ diskutieren).
Mit dem Jesuiten Padre Quevedo, der in Brasilien aufwuchs und zu jener Zeit in Spanien lebte, trat ein ‚Debunker‘[51] auf den Plan, dessen scharfe öffentliche Attacken gegen Argumosa, aber auch gegen Bender gerichtet waren.[52] Die Kontroverse erreichte ihren Höhepunkt im Dezember 1974 und Januar 1975 mit Zeitungsberichten und Radiosendungen. Quevedo hatte Benders Äußerung, wonach das intendierte höchste Level dokumentarischer Evidenz durch technische Hindernisse nicht erreicht werden konnte,[53] funktionalisiert, wohl in dem Sinn, dass Bender nicht von der Echtheit der Phänomene überzeugt sei. Bender sandte Argumosa als ‚Schützenhilfe‘ für ein neues öffentliches Aufeinandertreffen mit Quevedo ein Telegramm, in dem er seine Einschätzung der Phänomene als paranormal bestätigte (siehe Fußnote 49). Dieses Telegramm solle Quevedo unbedingt vor Beginn der Veranstaltung gezeigt werden. Die öffentliche Diskussion über Benders Telegramm zeigte jedoch nicht das gewünschte Resultat, da Quevedo die Äußerungen in einer eigenwilligen Art interpretierte.[54]



Abb. 16: Fernsehteam des Südwestfunk vor dem “Haus der Gesichter” im Jahr 1973. Copyright/Quelle: Archiv des IGPP

Fake News und die Fortschreibung von falschen Fakten

Fake News sind keine neue Erfindung der letzten Jahre, sondern spielten schon in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle bei Themen, die eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit genossen. Wie schon erwähnt, gab es einen Versuch, den durch die Medien erzeugten Aufruhr zum Bélmez-Fall zu beenden. Bender sprach von einem „Feldzug gegen Bélmez, der (…) in der Presse ausgelöst wurde (…) (und) auf vollkommen falschen Behauptungen, falschen Unterstellungen von Geständnissen“ beruhte.[55] Das Letztgenannte bezog sich auf ein angebliches Geständnis des Fotografen von Bélmez, er habe die Gesichter produziert. So war es in etlichen Zeitungen zu lesen.[56] Demgemäß würde es sich um Betrug bzw. Fälschungen handeln. Jener Fotograf allerdings versicherte Bender in einem Interview, dass er nie ein solches Geständnis abgegeben habe. Es handelte sich um eine reine Erfindung durch einen Journalisten.[57]

Manche Verfechter eines paranormalen Ursprungs der Gesichter behaupten, dass eine dem Franco-Regime unterstehende sogenannte „Operación Tridente“ (Operation Dreizack) eingerichtet worden sei, um eine öffentliche Diskussion der Phänomene zu unterdrücken (Fernández Bueno, 1999: 65–71; Fernández Bueno & Sentinella, 2004: 81–91; Jiménez & Fernández, 2005: 165–191). Die drei Spitzen des Dreizacks seien repräsentiert durch die (1) Kirche, (2) gefälschte Untersuchungsergebnisse durch skeptische Wissenschaftler und (3) Maßnahmen der Regierung. Einige Kritiker bezweifeln, dass es je eine solche „Operación Tridente“ gegeben habe, und sehen es als eine Verschwörungstheorie an (z. B. Alonso, 2014: 44). Solche Zweifel scheinen gerechtfertigt zu sein, wie man aus den Interviews von Carballal (2007) mit früheren Mitgliedern der Guardia Civil ersehen kann. Alle verneinten die Existenz einer solchen Operation. Allerdings besteht kein Zweifel daran, dass für eine gewisse Zeit behördlicher Druck auf verschiedene Personen und auf die Presse ausgeübt worden war.[58] So erhielt etwa der Bürgermeister von Bélmez am 26. Februar 1972 einen Brief vom Chef des Landratsamtes, Pablo Núñez Moto, in dem ihm jeglicher Kommentar zu den Gesichtern verboten wurde. Bei Zuwiderhandlung wurde ihm die Suspendierung angedroht (Carballal, 1992; Fernández Bueno, 1999: 69). Und der Sohn des Fotografen in Bélmez berichtete Bender in einem Interview, dass ihm gegen Ende Februar 1972 von Professor Serrano, Assistent am Lehrstuhl für Politische Wissenschaften in Madrid, nahegelegt worden sei, sich nicht mehr zum Fall zu äußern. Er sei sogar bedroht worden.[59] Das gefälschte Geständnis des Fotografen und auch die Anschuldigung seines Sohnes finden wir in etlichen späteren Publikationen.[60] Das gleiche gilt für die angebliche Aufklärung des Falles als Betrug mithilfe einer falschen chemischen Formel.[61]

Eine große Rolle für die nachfolgende öffentliche Rezeption dieses Falles spielte die Tatsache, dass die Presse fast von Beginn an in die Untersuchungen involviert war, indem sie eine eigene Untersuchungsgruppe einsetzte, der auch zwei Reporter angehörten. Sie arbeiteten mit Argumosa zusammen und mögen wirklich an einer unvoreingenommenen Prüfung der Phänomene interessiert gewesen sein. Aber ihr Hauptziel musste natürlich sein, eine gut zu verkaufende Story zu bekommen (Cuevas & Sánchez-Oro, 2011). Sie wurden Zeugen des spontanen Erscheinens eines Gesichts.[62] Aus der Perspektive eines unzulänglich informierten skeptischen Lesers, der seine Informationen nur aus Zeitungsartikeln bezieht, werden allerdings ihre Bezeugungen möglicherweise automatisch entwertet durch die Tatsache, dass sie von Reportern eines Boulevardblattes stammen.

Zeitschrift für Anomalistik (ZfA):

Die Zeitschrift für Anomalistik versteht sich als ein wissenschaftliches Forum zur Förderung eines kontroversen Diskurses über wissenschaftliche Anomalien, außergewöhnliche menschliche Erfahrungen und sog. Parawissenschaften. Veröffentlicht werden empirische Forschungsberichte, allgemeine Abhandlungen zu methodischen, konzeptuellen, philosophischen oder wissenschaftshistorischen Aspekten, Review-Artikel, Kommentare und Diskussionsbeiträge, sowie Buchrezensionen. Leitende Forschungsfragen zu wissenschaftlichen Anomalien, außergewöhnlichen menschlichen Erfahrungen sowie Parawissenschaften sind die nach Wahrheitsgehalt und Erklärungsmodellen, nach den psychosozialen Hintergründen der damit verbundenen Überzeugungssysteme, sowie nach den sozialen Rahmenbedingungen von durch Anomalien provozierten Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft. Methodenpluralismus, konkurrierende wissenschaftstheoretische Ansätze, sowie interdisziplinäre Zugänge sind erwünscht.

https://www.anomalistik.de/zeitschrift/bestellung

Abschließende Überlegungen

Aus dem Vorangegangenen dürfte klar geworden sein, dass selbst eine gründliche und gut
kontrollierte Untersuchung von paranormalen Phänomenen unter anscheinend guten Vorbedingungen und bei hohem Ressourcenaufwand schief gehen oder zumindest sehr schwierig werden kann aufgrund von nicht kontrollierbaren äußeren Einflüssen und Interessenskonflikten. Zu viele Parteien waren involviert, die zu verschiedene Interessen verfolgten, was dann den Fall ‚verdarb‘ (Cuevas & Sánchez-Oro, 2011).[63] Da Bender sich nicht in der Lage sah, alle wichtigen Untersuchungen selbst vor Ort durchzuführen, scheiterte die von ihm gewünschte Form der Dokumentation. Er war der Ansicht, dass die Experimente nicht mit der nötigen Genauigkeit und Akribie durchgeführt worden waren. In einem Brief an seine Übersetzerin Göhler vom 19. März 1973 beklagt er sich: „Das Plastik-Platten-Experiment ist gründlich vermasselt worden. Kein Notar bei der Entfernung der Platte, nun noch keine Foto-Aufnahmen, weil der ‚Entwickler‘ nichts taugte.“[64]

Das Interesse der Öffentlichkeit war schon vor Beginn der gründlichen Untersuchung in hohem Maße geweckt. Das führte zu großen Besucherscharen und einer starken Berichterstattung in öffentlichen Medien – mit all den für eine wissenschaftliche Untersuchung zumeist negativen Begleiteffekten. Dennoch blieb Bender zunächst optimistisch. Das angebliche Betrugsbekenntnis durch den Fotografen konnte als gefälscht zurückgewiesen werden, und das Erscheinen der Gesichter blieb trotz des öffentlichen Rummels nicht aus. Dies ermutigte ihn, weitere Untersuchungen in Kooperation mit dem Südwestfunk-Fernsehteam durchzuführen, um mit dem Versuch eines wissenschaftlichen Beweises gleichzeitig noch attraktives und überzeugendes Filmmaterial zu gewinnen.

Das vom SWF-Team in Bélmez aufgenommene Filmmaterial wurde jedoch nicht ausgestrahlt, da die Fernsehserie vorzeitig abgebrochen wurde. Ursprünglich war dies nur als eine temporäre Unterbrechung nach der Ausstrahlung der dritten Folge geplant. Vielsagend ist eine Überschrift der Mittelbayerischen Zeitung vom 23. Januar 1975:

“Fragwürdige ‘Psi’-Serie der ARD ist vorerst beendet. Benders Spukgeister streikten vor der Kamera. Keine Beweise fürs Übersinnliche erbracht / Naturwissenschaftler kündigen Kampf gegen Aberglauben an.”

Zu seinem Scheitern, den schlagenden Beweis für ein paranormales Geschehen zu erlangen, kam hinzu, dass Bender starken Gegenwind von verschiedenen Seiten erhielt. Die Presse reagierte fast durchgängig kritisch auf die erste Folge der Serie, in der es um Tonbandstimmenexperimente ging, und die Zuschauer waren gespalten.[65] Zudem stand noch Benders Pensionierung an, die auch die Frage nach seiner Nachfolge an der Universität aufwarf. Es kostete ihn einige Energie, sie in seinem Sinne zu regeln, weshalb eine weitere Bemühung um die Fertigstellung der noch ausstehenden drei Folgen wohl unter den gegebenen Umständen zu überfordernd für ihn war. Das Scheitern dieser Fernsehdokumentationsserie dürfte den Ambitionen Benders, mit Hilfe der Massenmedien auf eine seriöse Art und Weise der Parapsychologie zum Durchbruch zu verhelfen, einen kräftigen Dämpfer versetzt haben.

Ein Hauptargument der Skeptiker gegen die paranormale Qualität der Gesichter von Bélmez bezieht sich auf die Tatsache, dass Bender nie eine formale Publikation zu seinen Untersuchungen veröffentlicht hatte, trotz seiner Ankündigungen in den Jahren 1972 und 1973.[66] Das ist zwar kein wissenschaftliches Argument, aber grundsätzlich schon in Betracht zu ziehen. Es wäre vergleichbar mit dem bekannten „File-Drawer“-Problem in der experimentellen Parapsychologie[67] und könnte ebenfalls, bezogen auf diesen Fall, auf die anscheinend nicht existierenden oder zumindest nicht veröffentlichten Berichte der Polizei und des ‚offiziellen Untersuchungskommittees‘ angewendet werden, die offenbar keine Indizien für Betrug entdecken konnten. Berücksichtigt man allerdings Benders persönliche Situation (Suche nach einem Universitätsnachfolger) sowie seine Enttäuschung bezüglich der Fernsehserie und darüber hinaus seine chronische Arbeitsüberlastung, kann man darin genügend plausible Gründe dafür sehen, dass der Fall nicht Gegenstand einer ausführlichen Publikation von Bender geworden war.[68] Die große Bedeutung, die er den ‚Gesichtern‘ beimaß, lässt sich aus der Unterstützung von MacKenzies im Jahr 1987 veröffentlichter Fallrekonstruktion ersehen (MacKenzie, 1987: 24–41).[69]

Ein weiterer wichtiger Punkt bestand in der Bedeutung, die Argumosa den EVP-Experimenten beimaß. Als die involvierten Reporter die Serie mit dem Titel „Las caras hablan“ [Die Gesichter sprechen] starteten, unterstützte dies klar eine spiritualistische Interpretation der Phänomene, was ein Dorn im Auge vieler Parapsychologen war, inklusive Argumosas selbst. Es brachte zudem heftige Reaktionen (beispielsweise seitens des oben erwähnten Padre Quevedo) und Missverständnisse hervor. Dementsprechend kritisierte Alonso (2014: 97ff) Argumosa unter anderem scharf dafür, dass er hauptsächlich an Tonbandstimmenaufnahmen interessiert sei, und zitierte Teile aus dem offiziellen Bericht Argumosas für den Zivilgouverneur von Jaén.[70] Jemand, der nur wenig von Zugängen und Theorien der parapsychologischen Forschung versteht, kann leicht die aus Argumosas Bericht angeführten Punkte missverstehen. Hier müssen jedoch wissenschaftspolitische Gesichtspunkte mit in Betracht gezogen werden: Argumosa wollte sich von Amateurforschern und Journalisten abgrenzen, indem er auf einen internationalen Kongress zur Tonbandstimmenforschung hinwies, der in Italien stattfinden sollte. Außerdem entspricht es seinem eigenen methodischen Zugang zur Untersuchung von RSPK-Fällen, die Phänomene als Teil eines umfassenderen Geschehens zu verstehen. Seine Methode beinhaltet drei Hauptschritte: (1) das Ausschließen von Betrug, (2) die Untersuchung der Phänomene mit konventionellen wissenschaftlichen Methoden (z. B. Materialanalysen) und (3) die Anwendung parapsychologischer Untersuchungsmethoden (Argumosa & Ramiro de Pano, 2014: 347ff). Der letztgenannte Punkt gründet auf der Vorstellung, dass an einem vermeintlichen Spukort eine ganze Reihe verschiedener paranormaler Phänomene in Erscheinung treten können und nicht etwa nur ein einzelner Typ. Wenn es also möglich ist, überzeugende EVPs an einem solchen Ort aufzunehmen, so kann dies als starkes Indiz dafür gewertet werden, dass andere Phänomene ebenfalls ‚echt‘, d. h. paranormalen Ursprungs sind. Bender selbst schloss solche Methoden als zusätzlichen Input nicht grundsätzlich aus. So fragte er etwa den berühmten holländischen Hellseher Gérard Croiset, mit dem er teilweise erfolgreich bei mehreren Untersuchungen und Experimenten zusammengearbeitet hatte, im Rahmen eines Besuches am 11. Juni 1972 um dessen Einschätzung. Croiset beschrieb detailliert das Innere des Hauses des Fotografen und mahnte zur Vorsicht, da in dem Fall gefälscht worden sei.[71] Bender allerdings maß dieser Warnung nicht übermäßig viel Bedeutung bei. In einem Brief an seine Übersetzerin Renate Göhler schrieb er: „Das kann reine Phantasie oder eine telepathische Anzapfung der gesteuerten Presseberichte sein und beeindruckt mich nicht sonderlich.“[72]

Wenn man Benders Hauptanliegen in Betracht zieht, unanfechtbare Beweise für ein paranormales Geschehen zu erlangen, so wäre es das Beste gewesen, die Experimente auf konventionelle Methoden (also ohne EVPs etc.) zu beschränken und sie so betrugssicher wie möglich zu gestalten. Als aber das öffentliche Interesse wuchs, gerieten die Dinge außer Kontrolle. Zusätzlich zu dem Interesse der Massenmedien betraten noch unterschiedlichste Arten von Forschern die Szene. Einige führten Experimente mit hypnotisierten Medien durch,[73] ein Mediziner akupunktierte die Gesichter,[74] und der Futurologe und Astrologieprofessor Rafael Lafuente machte „sensationelle“ Voraussagen.[75] Von 1996 an begann die spanische Amateuruntersuchergruppe Sociedad Española de Investigaciones Parapsicológicas (SEIP) mit Untersuchungen und Experimenten (Fernández Bueno & Sentinella, 2004: 137–149). 2002 starteten sie die sogenannte Operación Génesis, die sich unter anderem mit dem Einfluss der gesundheitlichen und geistigen Verfassung von María auf die Gesichtszüge der Gesichter befasste (Alonso, 2014: 136ff; Fernández Bueno & Sentinella, 2004: 151–176). Dies alles hatte natürlich Auswirkungen auf die öffentliche Meinung bezüglich des Falls und der Forscher, die sich seiner Untersuchung widmeten.

Ein drittes, häufig von Skeptikern (und nicht nur von ihnen) ins Feld geführtes Argument betrifft die finanzielle Seite. Wenn größere Mengen von Geld im Spiel sind, wird dies allein schon häufig als sicherer Hinweis auf Betrug angesehen. Solche Überlegungen sind durchaus gerechtfertigt, aber es handelt sich auch hier nicht um ein wissenschaftliches Argument. César Tort, einer der Autoren des vielleicht bisher informativsten wissenschaftlichen Aufsatzes zu dem Fall (Tort & Ruíz-Noguez, 1993), veröffentlichte später eine kurze Notiz im Skeptical Inquirer (Tort, 1995). Darin hat er seine vormalig neutrale Position zugunsten einer skeptischen aufgegeben („my former neutrality was a bit inattentive“). Allerdings führt er kein einziges wissenschaftliches Argument zur Rechtfertigung seiner Neubewertung des Falles an. Fast die Hälfte des Textes erwägt Geldangelegenheiten („may have been perpetrating a hoax for financial gain”),[76] und in den anderen Teilen führt er Argumente der Skeptiker an, die von Beginn der ersten Untersuchungen des Falls an bekannt waren („The photo I took of the face called La Pelona […] has all the signs of having been sketched by an inexperienced hand – even infantile, I would say. And the same can be said of the ten other faces I photographed“). Hier können wir eine eher typische Entwicklung sehen: Mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Ereignissen wird die Tendenz zu einer Wiederherstellung der orthodoxen Realitätsordnung (siehe Mayer & Schetsche, 2016) zunehmend stärker. Die Beurteilungen basieren oft auf Sekundärquellen, die passend zur eigenen Meinung und Weltsicht ausgewählt werden.[77] Um ein im JSPR-Aufsatz von Tort & Ruíz-Noguez angeführtes Beispiel zu geben: Der Präsident der Spanischen Gesellschaft für Parapsychologie, Ramos Perera, der die Betrugshypothese vertritt, äußerte in einem Telefoninterview mit den Autoren im Jahr 1992, „that the fraud was done ‚by a photographer who retouched the originals‘“ (1993: 166). Nun basiert diese Aussage aber offensichtlich auf „Fake News“, die von einem Journalisten erfunden wurden.[78] Wenn man also einen relativ unverzerrten Eindruck von einem historischen Fall gewinnen möchte, ist es notwendig, oder zumindest hilfreich, die in den Archiven zugänglichen Primärquellen einzusehen, die in diesem faszinierenden Fall glücklicherweise sehr reichhaltig und ergiebig sind. Damit kann so manches schiefe Bild gerade gerückt werden.

Besten Dank!
Andreas Müller
Hrsg. grenzwissenschaft-aktuell.de


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zuletzt bearbeitet 05.01.2024 06:08 | nach oben springen
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