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#1

Der Tod:

in Cumhachd - Damhain Alla: 02.02.2010 07:28
von Atlan • Nexar | 15.551 Beiträge

"Falls der Tod aber gleichsam
ein Auswandern ist
von hier an einen anderen Ort,
und wenn es wahr ist,
was man sagt,
dass alle, die gestorben sind,
sich dort befinden,
welch ein größeres Glück
gäbe es wohl als dieses ?"

(Sokrates)


Schon unsere frühesten Vorfahren haben sich Gedanken
über den Tod und die Zeit danach gemacht.
Aus welchen Gründen auch immer; scheinbar kamen unsere Ahnen zu dem Schluss,
dass die Existenz nach dem Tod weitergeht, mindestens aber ist der Verstorbene zu ehren.

Das Begräbnis ist ein Zeugnis für den Totenkult,
Grabbeigaben und Grabgestaltung sprechen dagegen häufig für die Idee eines „Nachlebens“.
Bereits die Neandertaler gaben ihren Verstorbenen Heilpflanzen,
Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände mit ins Grab.

Das bisher älteste erhaltene Grab befindet sich in Qafzeh in Israel
und ist ca. 100.000 Jahre alt; der vorläufig älteste Friedhof
wurde in der Sahara entdeckt und ist 10.000 Jahre alt.

Viele alte Kulturen wurden und werden anhand der Grabfunde gemessen,
oft sind sie die einzig erhaltenen Zeugnisse vergangener Zeiten.
Der Tod und die Toten scheinen allgegenwärtig, zumindest für die Damaligen.

Heute dagegen sieht das alles etwas anders aus:

Es gibt eine sogenannte "Liegezeit" auf deutschen Friedhöfen.
Das bedeutet, dass nach 10-25 Jahren die sterblichen Überreste
aus der Begräbnisstätte entfernt und auf unterschiedliche Art und Weise,
je nach Gemeinde, entsorgt werden.

Von Grabschändung, Entweihung oder Störung der Totenruhe
spricht in diesem Zusammenhang kaum jemand.
Man geht davon aus, dass nach 25 Jahren der Tote in Vergessenheit gerät
und meistens ist es auch so.
Die Toten werden totgeschwiegen.

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland liegt heute bei etwa 79 Jahren,
das sind immerhin 40 Jahre mehr als noch vor 200 Jahren.

Scheinbar haben wir mit der Verschiebung des Todes nach hinten
auch die Gedanken um Tod und Sterben weit von uns geschoben.
Nur ist eines trotz aller Schieberei immer noch gewiss:

Ich werde sterben und du auch.

Der lange Weg zum Tod

Mit der Geburt beginnt das Sterben.
Diese Phrase ist dem einen oder anderen schon begegnet
und trotz allem scheinbaren Zynismus ist sie wahr.
Es gibt endlos viele Theorien, weshalb unser Körper älter wird,
seine Funktionalität verliert und schließlich stirbt.
Vorläufig scheint nur sicher zu sein, dass der Tod in uns programmiert ist.

Im Augenblick ist die Theorie populär, dass die Mitochondrien für unseren Tod verantwortlich sind.
Die Mitochondrien befinden sich in den meisten Körperzellen
und produzieren wahre Unmengen an Adenosintriphosphat (ATP).
Etwa zwei Drittel der von uns aufgenommenen Kalorien werden in ATP umgewandelt.
Jenes fungiert als körpereigener Energiespeicher und ist überlebenswichtig.

Als Nebenprodukt der Zellatmung entstehen dabei so genannte „freie Radikale“,
also aggressive und schädliche Moleküle, welche unser Zellmaterial
und die Leistungsfähigkeit der Mitochondrien schädigen.

Im Laufe des Lebens befinden sich immer mehr dieser freien Radikalen
bzw. Oxidantien im Körper, die Energieproduktion geht zurück und der Organismus stirbt.

Mit zunehmendem Alter treten selbst beim augenscheinlich gesunden Menschen
die Vorboten des Todes verstärkt auf: die Alterserscheinungen.
Das Haar ergraut und dünnt manchmal aus, die Haut erschlafft zusehends, die Sehkraft nimmt ab,

Erkrankungen werden als anstrengender und langwieriger erlebt,
die allgemeine Leistungsfähigkeit und das Gedächtnis lassen nach,
Gelenkschmerzen treten verstärkt auf usw.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Klar scheint lediglich zu sein, dass diese Merkmale von Mensch zu Mensch
recht verschieden sein können und dass sie die Folge von Abnutzungen sind,
insgesamt wird der Körper müde und benötigt mehr Schonung.

Der moderne Mensch glaubt indes, sich anderweitig helfen zu können.
Indem die äußerlichen Alterserscheinungen bekämpft werden,
meint man vermutlich, auch dem Tod entkommen zu können.
Gegen die Menopause werden Hormone eingesetzt (die dann ihrerseits Krebs verursachen können),
die Haare werden gefärbt, die Falten werden weggeschminkt
und mit Cremes oder Botox bearbeitet, in die Augen kommen Kontaktlinsen
und alles andere wird auf zu viel Stress geschoben.

Alles was mit dem Alter zu tun hat, wird als hässlich, abstoßend und nutzlos empfunden.
Während wir bei alten Bäumen und Ruinen verzückt-romantische Gefühle zulassen,
ihnen Lieder und Gemälde widmen, geben wir uns beim alten Artgenossen hart und abweisend.

Die Pflege des alten Menschen ist eine beinahe unhaltbare Last,
sein Anblick stört sowohl im Straßenverkehr wie an der Schlange im Supermarkt
und seine Meinung ist wertlos, denn die Moderne hat ihn längst überholt.

Die Ironie daran ist, dass du und ich auch altern werden (wenn wir Glück haben!),
dass sich unsere Geschwister, Partner, Freunde,
Eltern und Kinder alle auf derselben Straße befinden,
auf der Straße des Lebens, die zum Tod führt.

Der schweigende Tod:

Längst dürfte bekannt sein, dass die meisten Deutschen in Institutionen sterben,
nur ca. 20 Prozent aller Menschen sterben zu Hause.
Dabei ist, will man Umfragen glauben,
der Tod im Krankenhaus oft gefürchteter als das Sterben selbst.
Allerdings finden es wahrscheinlich die wenigsten Menschen aushaltbar,
einen Sterbenden zu pflegen, die ausgetrockneten Lippen immer wieder zu befeuchten,
ihn zu säubern und ihm tröstend die Hand zu halten.

Und was man selbst nicht (mehr) fertig bringt,
kann man weder seinen Nachkommen anerziehen, noch jemandem anders abverlangen.
Zusammenfassend stehen die Chancen gut,
dass auch wir im Krankenhaus oder im Pflegeheim unsere letzten Atemzüge tun.

Der Tod wurde recht erfolgreich aus den Wohnräumen und damit aus dem Blickfeld verbannt.
Damit aber nicht genug, wir schauen nicht nur längst nicht mehr auf das Sterben,
wir sprechen auch nicht darüber.

Ich habe oft erlebt, wie krebskranke Patienten immer wieder aufgefordert wurden,
den Lebensmut nicht zu verlieren, gesund werden zu wollen, nicht aufzugeben...
Das mag richtig sein und auch manchmal dazu beitragen, dem Tod noch ein paar Jahre abzuringen.

Dennoch bekomme ich manchmal den Eindruck, dass der Sterbende
(oder vom Tod Bedrohte) verurteilt wird, seine Angehörigen zu trösten
und seine Ängste mit sich selbst auszutragen.
Das Sprechen über den eigenen Tod ist heute ein Tabu.

Um ein Vielfaches einfacher erscheint mir der Tod, den ich aus manchen Filmen kenne.
Der Sterbende liegt zu Hause, umgeben von seinen Nächsten und ist in der Lage,
zum Schluss seine Angelegenheiten zu ordnen, zu seinem Gott zu beten
und kann schließlich friedlich und versöhnt in den langen Schlaf fallen.
Aber damit haben wir heute nur noch wenig zu tun.

Wenn jemand gestorben ist, ist der häufigste Satz, der anschließend fällt:
„Das Leben geht weiter.“

Das stimmt, das Leben und das Sterben hören nicht auf.
Und trotzdem, wieviel rücksichtsvoller wäre es denn,
mit dem Hinterbliebenen auch einmal über das Sterben zu sprechen.

Kaum einer weiß, wie oft der Angehörige an den eigenen Tod gedacht hat
und wenn er dem Verstorbenen nahe stand, vielleicht auch an den Freitod?

Wer will schon wissen, wie die Lebenden die Sterbephasen mitbekommen haben,
was sie dachten, wie oft sie den Tod des Angehörigen heimlich herbeisehnten oder fürchteten?

Spätestens nach der Beerdigung hat der Lebende den Tod abzuschütteln
und sich dem Alltag zu widmen oder eine Therapie zu beginnen.

Ich kenne kaum Haushalte, in denen die verstorbenen Angehörigen
nachträglich geehrt oder offen betrauert werden.

Die Wände mit den Familienfotos oder die Kommoden mit Kerzen,
religiösen Symbolen und dem Bildnis der Toten
gehören scheinbar zu einer anderen Zeit.

Wir handhaben es so, dass der Nachlass schnellstens verteilt wird,
die Kleidung zur Altkleidersammlung kommt
und die Erinnerungsstücke des Verstorbenen in den Müll entsorgt werden.

Besonders schwer haben es mit diesen Methoden wahrscheinlich Eltern, deren Kind verstorben ist.
Der Tod eines Kindes wird verständlicherweise als unnatürlich eingestuft.
Dadurch, dass der Tod eines Kindes nicht in dem Maße berechenbar ist,
wie der Tod von Eltern und Großeltern, ist er noch schwieriger zu verarbeiten
als es Tod und Sterben sowieso schon sind.

Sehr bewegend finde ich den Tod von Ungeborenen, vor allem deshalb,
weil immer noch nicht selbstverständlich ist,
diese sogenannten Sternenkinder überhaupt bestatten zu lassen bzw. bestatten lassen zu können.

Erst 1970 begann man darüber nachzudenken,
dass Eltern von totgeborenen Kindern ein Recht auf Trauer haben,
verbunden mit dem Recht auf ein Grab.

Bis heute gibt es in noch nicht allen Kliniken genügend angemessene Aufklärung.
Die verwaisten Eltern werden immer noch viel zu oft im Unklaren darüber gelassen,
was mit dem Baby geschieht.

Totgeburten, bei denen das Gewicht weniger als 500 Gramm beträgt,
haben noch nicht überall einen Anspruch auf ein Grab.
Manche Gemeinden organisieren mittlerweile Sammelbestattungen für diese Kinder, i
n Berlin gibt es seit 2008 einen Garten der Sternenkinder.

Aber immer noch höre und lese ich von Totgeborenen, die einfach im Klinikmüll landen.
Wenn es keine gemeinsamen Erlebnisse gibt, die zu Erinnerungen werden können,
kein Gesicht und manchmal nicht einmal ein Geschlecht,
keinen Gedenkstein und kein Grab, wie sollen die Angehörigen dann mit dem Tod zurechtkommen?


Der Tod im Neopaganismus:


Es ist mir klar, dass es unmöglich ist, allgemeingültige Aussagen zu treffen.

Das Spektrum derer, die sich als Heiden, Hexen und Paganisten
bezeichnen, ist einfach zu breit.

Dennoch kann man sagen, dass Tod und Sterben
im Paganismus eher thematisiert werden als bei dem Durchschnitt der Bevölkerung.
Zum einen liegt das am Aufgreifen von Mythologien,
zum anderen am Befassen mit magischen Techniken,
oft findet man eine Mischung von beidem.

Fast jeder, der sich heute als Hexe oder Heide bezeichnet,
beschäftigt sich mit den Kreisläufen der Natur.

Man kennt Samhain als ein Fest für die Ahnen,
weiß meistens von Wotans wilder Jagd mit seinem Geistergefolge,
kennt Unterweltsmythen und deren Götter-
und hier und da findet sich jemand, der schamanisch arbeitet
und aus diesem Grund Kontakt zur Welt der Geister hat.

Tod wird im Paganismus oft als Transformation verstanden,
das Sterben ist ein Übergang in eine andere Welt.
Die Tarotkarte „Tod“ ist eine Karte des Loslassens und der Veränderung,
die durchaus als positiv empfunden wird.

Inzwischen habe ich einige wenige Hexen kennengelernt,
die sich auf das Seelensingen verstehen, das bedeutet,
dass man Sterbenden mit einer Art Gesang den Eintritt in das Reich des Todes erleichtert.

In verschiedenen Hexen- und Heidenforen ist immer mal wieder
die Rede von möglichen Begräbnisformen,
auch hier setzen sich relativ junge Menschen mit dem Thema auseinander.

Besonders begrüßt wird die alternative Bestattungsform des Friedwaldes bzw. die Baumbestattung.
Es wird darüber nachgedacht, ob es möglich ist,
den Leichnam in einer möglichst natürlichen Umgebung zu bestatten, weg vom institutionellen Friedhof.

Die Neuheiden haben damit begonnen, dem Tod den Schrecken der Endgültigkeit zu nehmen
und sich die Hoffnung zurück zu holen.
Das Sterben und Vergehen werden hier häufig weder als Strafe für ein sündiges Leben,
noch als Erlösung aus einem irdischen Jammertal identifiziert,
sondern als natürlicher Bestandteil der Existenz, die im Übrigen endlos ist.

Der Tod ist nicht das letzte Ende und die Welt der Toten hat Namen und Gestalt:
Walhalla, Anderswelt, Land der Jugend, die meisten Neuheiden haben Begriffe
und Vorstellungen über die Existenz nach dem irdischen Leben.

In späteren Artikeln werde ich mich verstärkt mit dem Tod in Zusammenhang
mit Mythos, Religion und Magie auseinandersetzen.


Ein privater Tod:

1980 starb meine Großmutter. Vier Jahre später, im Januar 1984,
begann mein kommunistischer und damit recht ungläubiger Großvater, meine Großmutter zu sehen.

Er sprach davon, wie sie am Fenster oder im Schlafzimmer
erschienen sei und ihn abholen wolle. „Sie wartet auf mich“,
sagte er in dieser Zeit oft.

Er verweigerte immer öfter die Nahrungsaufnahme und vernachlässigte seine Alltagsgeschäfte
und heute weiß ich, dass er auf den Tod wartete.

Im März 1984 starb er dort, wo bereits meine Großmutter gestorben war
und wo er am Schluss die meiste Zeit verbracht hatte, auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer.

Ich habe meine Großmutter damals nicht gesehen,
das geschah erst später. Aber ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass er recht hatte
und dass am Ende unserer Tage auf dieser Welt die geliebten Verstorbenen kommen,
unsere Hand nehmen und uns hinüber helfen, auf die andere Seite der Existenz.


Styx

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zuletzt bearbeitet 19.05.2024 22:26 | nach oben springen
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