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#1

Ur-Bewusstein:

in Ur-Schöpfung: 28.04.2010 01:34
von Adamon • Nexar | 15.548 Beiträge

Uroboros:


Erich Neumann hat in seinem Buch „Ursprungsgeschichte des Bewusstseins“
die menschheitsgeschichtliche Entwicklung des Ich-Bewusstseins aus dem kollektiven Unbewussten
dargestellt. Dabei geht er aus von der unbewussten Vollkommenheit, die von unserem Bewusstsein
im Symbol der Kreisschlange, dem Uroboros, gerade noch wahrgenommen wird.
Die Schlange, die sich in den Schwanz beisst, symbolisiert unser kollektives Unbewusste
im dynamischen und statischen Aspekt seiner Ganzheit:
Diese Ambivalenz kommt darin zum Ausdruck, dass sich die Kreisschlange
sich selber auffrisst, aber auch gefressen wird. Sie gebiert sich und wird gleichzeitig geboren.

Die Kreisschlange symbolisiert den Zustand vor dem Ursprung des Bewusstseins.
Sie ist ewig und unendlich, hat also weder Zeit noch Raum. Der vorbewusste Bereich,
der der Uroboros versinnbildlicht, hat weder ein Aussen noch ein Innen,
weder ein Oben noch ein Unten, Raum und Zeit fallen in eins zusammen,
ebenso äussere und innere Welt. Es gibt keinen Unterschied zwischen Welt und Gott.
Tod und Leben sind eins, ebenso weiblich und männlich, gut und böse, Geist und Materie.
Weiter sind Finsternis und Licht noch nicht geschieden und Nichts und Alles fallen in eins zusammen.

"Fallen in eins zusammen" ist etwas irreführend ausgedrückt,
- denn Dunkel und Licht sind noch ungetrennt, - vereint,
- um "zusammenzufallen" müssten sie bereits getrennt gewesen sein. -

- Entspricht genaugenommen "der Vor-Schöpfung" = "dem Ungeoffenbarten"
bzw. dem "Ursprungszustand allen Seins". - A . -

Der Uroboros steht auch da für den ersten Kreis des Bewusstseins
und ist gleichzeitig eine Abgrenzung gegen etwas, das dem menschlichen Bewusstsein
nicht mehr zugänglich ist, eben "die unbewusste Vollkommenheit".




Die archetypische Vollkommenheit des kollektiven Unbewussten strebt danach,
sich in der konkreten Welt zu verwirklichen.

Was sich lange vor dem Menschen in "der Trennung von Dunkel und Licht" ausdrückt,
- in einem "geoffenbarten / sichtbaren / erlebbaren Universum", - in "Tag und Nacht". - A . -

Die Verwirklichung dieser Vollkommenheit findet der Mensch in seiner Ganzwerdung.
Der Einzelne integriert seine guten und schlechten Seiten zu einer Ganzheit.
So soll nach Helmut Barz auch die negativen Seiten soweit ausgelebt werden dürfen,
wie es gegenüber dem Kollektiv noch zu verantworten ist.

Was auch geschieht, - die "Gesetzbarkeit" greift erst ein, wenn das Negativum
"vom Kollektiv nicht mehr zu verantworten ist". - A . -

Das Negative jedoch, das auch zur eigenen Person gehört,
muss der Einzelne ertragen. Das Ertragen des persönlich Bösen ist,
so schreibt Helmut Barz, die moralische Leistung des Einzelnen.


DAS CHINESISCHE WUCHI:

Ein ähnliches Symbol wie die Kreisschlange kennen die Chinesen, den leeren Kreis.
Er ist die abstrakte Form des Uroboros.
Wu-Chi heisst Nicht-Anfang und symbolisiert das „Universum“,
in welchem alle Unterschiede noch Un-geschieden vorhanden sind.
Helmuth von Glasenapp kommentiert:


"Dieser Zustand des Alls ist nicht der eines absoluten Nichtseins,
sondern der eines potentiellen,
noch nicht in Erscheinung getretenen Seins".

Eben "des Ungeoffenbarten". -

Die erste Entfaltung des Wu-Chi ist seine Teilung in die Urkräfte von hell und dunkel.
Jede Urkraft hat dabei seine entgegengesetzte Kraft in sich. Es ist das Symbol von Yin und Yang.



Yin bedeutet ursprünglich die Nordseite eines Hauses, Yang dessen Südhang.
Yang steht für das aktive, schöpferische, lichte Prinzip, während Yin Symbol für das empfangende ist.
Häufig wird Yang als das männliche, Yin als das Weibliche gesehen.

Doch diese eindeutige Zuweisung trägt den Stempel des Patriarchats und ist religionsgeschichtlich
nicht haltbar. Ein Beispiel: In vorgeschichtlicher Zeit wurde häufig eine Sonnengöttin verehrt.
In Alt-Europa zum Beispiel gibt es unzählige Belege für die Sonnengöttin,
die Marija Gimbutas in ihrem Buch "Die Sprache der Göttin" systematisiert hat.
Erst zu Beginn der menschlichen Geschichte wurde die Sonnengöttin von einem männlichen Gott verdrängt.
Ein schönes Beispiel ist die hethitische Sonnengöttin von anatolischen Hochgebirge, von einem Ort namens Arinna.
In meinem Aufsatz zu Römer 3,24-26 zeige ich, dass die Bezeichnung Aruna für
die göttliche Bundeslade auf die hethitische Sonnengöttin von Aruna zurückgeht.

Allgemein denke ich, die Verbindung von männlich, licht und aktiv
ist relativ genauso wie die Verbindung von dunkel, weiblich und passiv.
Hell kann genauso gut, passiv und weiblich sein, wie dunkel, aktiv und männlich.
Man bedenke nur an das germanischen Märchen, in dem die lichte Prinzessin
(Sonne) von einem finsteren Bären (Winter) festgehalten wird und frei kommt,
wenn sie ihn küsst respektive heiratet (Frühling).

Die Zuordnung von Yin = weiblich und Yang = männlich ist willkürlich.
Sie geht zurück auf die "Achsenzeit", die Karl Jaspers zwischen 800 und 200 vor Christus einordnet.
Zu dieser Zeit hat sich in allen Hochkulturen das noch heute gültige patriarchale Bewusstseinssystem
entwickelt, in China, Indien, im Mittelmeerraum, später auch in der islamischen Welt und im Abendland und zuletzt in Afrika.


ANMERKUNGEN:

Erich Neumann, "Ursprungsgeschichte des Bewusstseins", vgl. auch C. G. Jung, GW 5, S. 477;
Manfred Lurker Hrsg. Wörterbuch der Symbolik unter Uroboros, Ewigkeit, Ring und Manfred Lurker,
"Schlange und Adler"; Schlangen und Drachen versinnbildlichen in der philosophischen Spekulation
des Orients das noch nicht Manifeste, die noch ungeteilte Einheit vor der Schöpfung, S. 12

In der jungschen Psychologie wird entsprechend unserer patriarchal geprägten Kultur
Ich immer als männliche Grösse betrachtet und als Held symbolisiert.
Die Heldin gilt stets als Anima-Figur.

In "Der Mensch und seine Symbole, hrsg. C. G. Jung, S. 38. C. G. Jung zeigt anhand
eines Traumes des deutschen Chemikers Kerkulé, dass der Uroboros kein weltfremdes Symbol ist.
So träumte Kerkulé, als er die Molekularstruktur des Benzols untersuchte, von einer Schlange,
die in ihren eigenen Schwanz beisst, darauf deutete er die Molekularstruktur als Benzolring.

Helmut Barz, Vom Wesen der Seele, 119f

Helmuth von Glasenapp, Die fünf Weltreligionen, S. 120

vgl. Joseph Campbell, der Heros in tausend Gestalten, S. 204f.;
für die alteuropäische Sonnengöttin vgl. Marija Gimbutas, die Sprache der Göttin

Karl Jasper "Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 19; übersichtliche Tabelle auf S. 48; Piper-Tb, Nr. 1980

Vgl. zum Beispiel Eugen Drewermann, Strukturen der Angst

revidiert 9.11.02

Text und Gestaltung: Esther Keller-Stocker, Horgen (Schweiz)

Ich freue mich auf Ihren Kommentar, Ihre Anregung!
esther@estherkeller.ch


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#2

RE: Ur-Bewusstein:

in Ur-Schöpfung: 28.04.2010 01:42
von Adamon • Nexar | 15.548 Beiträge

Jean Gebser unterscheidet in seinem Werk "Ursprung und Gegenwart"
zwischen vier verschiedenen Bewusstseinsphasen, die die Menschheit innerhalb
ihrer menschheitsgeschichtlichen Entwicklung durchgemacht haben sollen.
Auf der untersten Ebene der Bewusstseinsentwicklung befindet sich das archaische Bewusstsein,
dann folgt das magische, mythische und zuletzt das mentale Bewusstsein.
Jean Gebser nimmt an, dass in unserer Zeit das mentale Bewusstsein durch das Integrale ersetzt wird.

Der Übergang von einer Bewusstseinsphase in die andere findet durch eine Mutation statt.
Bei der Durchsetzung der neuen Bewusstseinsphase bleiben die vorangegangenen Bewusstseinsphasen
in verdrängter Form im Unbewussten bestehen. Jeder Bewusstseinsphase ordnet
Jean Gebser verschiedene Aspekte zu. Zum Beispiel untersucht er jede Bewusstseinsphase
nach seiner Raum- und Zeitorientierung (II, 695).

"Das archaische Bewusstsein":

Das archaische Bewusstsein ist gekennzeichnet durch Vor-Zeitlichkeit und Vor-Räumlichkeit,
es ist ein nulldimensionales Bewusstsein. Dieses nulldimenisonale Bewusstsein ist bewusstlos.
Unbewusst sein heisst auch kein Ich haben. Die archaische Bewusstseinsphase ist also Ichlos.

"Das magische Bewusstsein":

Der magische Mensch tritt aus der nulldimensionalen Struktur des archaischen Bewusstsein
in die eindimensionale Unität. In der eindimensionalen Unität herrscht weiterhin die unbewusste
Raum- und Zeitlosigkeit, Ich-Welt-Gott werden als energetische Punkte erlebt,
die in einer Wechselbeziehung stehen und austauschbar sind. Das Symbol dieses Bewusstsein
ist der Punkt, es ist ein Punkte-Bewusstsein, in dem eine Grösse pars pro toto
andere Grössen vertreten kann. Ich denke da an die "Kuh" als Repräsentantin
der "Allmutter", die zugleich die Welt ist.

Nach Jean Gebser erfährt der magische Mensch sein Ich als diffuse Ansammlung von Lichtpunkten,
das sich als Gruppen-Ich, im Clan oder Stamm, organisiert. Ein solcher Clan sieht sich einer
punkthaft erfassten Energie geladenen Welt gegenüber, die eine beständige Bedrohung darstellt.

In einem gewissen Sinne kann man sagen, dass in dieser Struktur das Bewusstsein noch nicht im
Menschen ist, sondern noch in der Welt ruht. Die allmähliche Umlagerung dieses Bewusstseins,
das auf ihn einströmt, und das er assimilieren muss, oder von ihm aus gesehen: diese erwachende Welt,
der er gegenüberstehend allmählich bewusst wird - und in jedem Gegenüber liegt zugleich etwas Feindliches -:
beides muss er meistern. Und er antwortet auf die ihm entgegenströmenden Kräfte mit den ihnen
entsprechenden eigenen: er stellt sich gegen die Natur, er versucht sie zu bannen, zu lenken,
er versucht, unabhängig von ihr zu werden; er beginnt zu wollen. Bannen und Beschwören, Totem
und Tabu sind die naturhaften Mittel, mit denen er sich von der Übermacht der natur zu befreien,
mit denen sich die Seele in ihm zu verwirklichen, sich ihrer bewusst zu werden versucht (I, 88).

Diese Bedrohung wird einmal als konkrete Gefahr in wilden Tieren und fremden Horden erlebt,
aber auch in numinosen Kräften, in Gestalt von Geistern und Gespenster, die in Bäumen,
Felsen oder im Gewässer hausen. Diese Kräfte müssen bekämpft oder zumindest manipuliert werden.
Damit wird der Mensch zum Macher, zum Magier oder zur Magierin. "Machen" und "Magie"
stammen aus der gleichen Sanskrit-Wurzel magh. Der magische Mensch will nicht mehr nur in der Welt
sein, sondern die Welt haben (I, 88), und so sucht der magische Macher, die Hexe oder der Zauberer,
die Welt zu manipulieren. Uns sehr geläufige Vorstellungen, denn auch wir sind Magier, bedienen uns
der Mechanik und der Maschine, um die Umwelt zu bewältigen. "Mechanik", "Maschine stammen
ebenfalls aus der Wortwurzel magh und sind unsere magische Möglichkeiten die Welt zu bekämpfen und zu besitzen.

"Das mythische Bewusstsein":

Jean Gebser beschreibt den Übergang vom magischen zur mythischen Bewusstseinssphäre als ein Zeitgefühl,
das naturhaften Charakter hat. Eng mit diesem Zeitgefühl ist "die Seele" verbunden. "Zeit" und "Seele"
sind Ausdruck psychischer Energie und bilden die Vorformen der "Materie". Jean Gebser unterscheidet
das magische Bewusstseins als Bewusstwerdung der Natur vom mythischen Bewusstsein als
Bewusstwerdung der Seele. Die mythische Struktur erkennt Jean Gebser in Jahreszeiten-Riten
der alten Hochkulturen. In Astronomie und Kalender alter Kulturen soll sich das zum Abschluss kommende
magische Bewusstsein ausdrücken. Der Rhythmus der Natur wird als zeitliches Phänomen wahrgenommen (I, 105).

Die magische Bewusstseinsphäre befreite sich von der Natur. Mit der Befreiung von der Natur distanziert
sich das Ich auch von der Natur, wird sich aber dessen auch bewusst.
Die mythische Bewusstseinssphäre entdeckt nun die Innenwelt des Menschen, die Seele.
Der vereinzelte Punkt des Motivs pars pro toto erhält eine zweidimensionale Struktur,
welcher sich im Flächen einschliessenden Kreis, dem Symbol der Seele, darstellen lässt.
Der Kreis umfasst alles Polare und bindet es ausgleichend ineinander:
So kehrt im ewigen Kreislauf das Jahr über seine polaren Erscheinungsformen von Sommer
und Winter in sich zurück, ebenso wie die Sonne in ihrem Lauf über Mittag und Mitternacht,
Licht und Dunkelheit umschliessend in sich zurückkommt.

Die mythische Struktur erkennt die Gegenpole in der Natur und setzt den Himmel und die Sonne
als Gegenpol zur Erde und Himmel in Gegensatz zur "Unterwelt", so dass die im magischen
Kampfe angeeignete Erde gleichsam umfangen wird von den beiden polaren seelischen Wirklichkeiten:
von dem untererdhaften Hades und dem übererdhaften Olymp. Da alles Seelische Spiegelcharakter hat,
trägt es nicht nur naturhaften Zeitcharakter, sondern impliziert auch das Nicht-an-die-Zeit-gebundene,
das Ewige, das auf den Himmel oder auf die Hölle bezogen ist (I, 107).

Das Verhalten der Gottheit oder des Menschen in der mythischen Bewusstseinsphase ist
gekennzeichnet durch das Schliessen der Sinnesorgane, das schweigende Nach-Innen-Sehen
und Nach-Innen-Hören. Das Resultat ist der Mythos, das Wort als Ausdrucksmittel des Innen-Erschauten
und Erträumten.

So ist das Wort stets Spiegel des Schweigens, so ist der Mythos Spiegel der Seele.
Erst die blinde Seite ermöglicht die Sehende. Und da alles Seelische vor allem auch Spiegelcharakter hat,
trägt es nicht nur naturhaften Zeitcharakter, sondern ist stets auf den Himmel bezogen;
die Seele ist ein Spiegel des Himmels - und der Hölle. So schließt sich der Kreis von
Zeit - Seele - Mythos - Hölle und Himmel - Mythos - Seele - Zeit (I, 104f.)

"Das mentale Bewusstsein":

Das mentale Bewusstsein tritt aus der Geborgenheit des zweidimensionalen Kreises
und aus dessen Einschliessung heraus in den dreidimensionalen Raum:
Da ist kein In-der-polaren-Einheit-Sein mehr; da ist nur das fremde Gegenüber,
der Dualismus, der durch die denkerische Synthese als Trinität überbrückt werden soll;
denn von Eine-Zeit-Entsprechung, geschweige denn von Ganzheit ist nun nicht mehr die Rede (I, 132)

Es ist eine Welt des Menschen; das will sagen, es ist eine vorwiegend menschliche Welt,
in welcher "der Mensch das Mass aller Dinge" ist (Protagoras); in welcher der Mensch selber denkt
und dieses Denken richtet; und es ist eine Welt, die er misst, nach der er trachtet,
eine materielle Welt, eine Objektwelt, die ihm gegenübersteht.

Im Keime sind die grossen formgebenden Begriffe hier enthalten, Begriffe, die mentale Abstrakta
sind und die an die Stelle der mythischen Bilder treten, Abstrakta, die in einem gewissen Sinne
Göttererscheinungen also Götzen sind: Anthropomorphismus, Dualismus, Rationalismus, Finalismus,
Utilitarismus, Materialismus: kurzum die rationalen Komponenten der perspektivischen Welt (I, 132).

Das Aus-der-Natur gelöste Ich ist auch ein Zu-sich-selber-Erwachen des Menschen und ein Erkennen
seiner selbst, wie es in einer Inschrift im Apollo-Tempel zu Delphi heisst "gnothi sëauton".
Mit dem Erwachen des Menschen erhält das Denken eine vorrangige Bedeutung und besonders das
gerichtete Denken, mit dem der Mensch aus dem dämmerhaften mythischen Bewusstsein heraustritt.
Er gibt sich selber eine Ordnung, indem er Rechte schafft:

So vermittelt Mose am Berge Sinai dem Volk das göttliche Gesetz, Lykurg verfasste das spartanische
Recht und später Solon das athenische. Mit "Recht" wird die "rechten" Seite betont,
das nicht nur für das wache Bewusstsein steht sondern auch für das männliche Prinzip (I,133-135)

Der Begriff mental impliziert im Deutschen Mentalität in Sinne von moralischer Einstellung.
Das ursprüngliche Wort von mental menos hat aber eine komplexere Bedeutung, es bedeutet:
"Absicht, Zorn, Mut, Denken, Gedanke, Verstand, Besinnung, Sinnesart, Denkart, Vorstellung".

Die Grundlage für die Mutation ins mentale Bewusstsein ist "Zorn" und "Denken",
welche zunächst noch mythisch im Zorn der Götter, der Zorn Zeus oder der Zorn Jahwes,
erfahren wurde aber dann auf das menschliche Ich überging (5; S. 127).

Der Zorn, nicht als blinder, sondern als denkender Zorn, gibt dem Denken und der Handlung Richtung;
und er ist "rücksichtslos", das will besagen: "er sieht nicht nach rückwärts", er wendet den Menschen fort
von der bisherigen mythischen Welt der Eingeschlossenheit und ist vorwärtsgerichtet,
wie die zielende Lande, wie der in den Kampf stürzende Achill. Er einzelt den Menschen von
der bis anhin gültigen Welt - der Ton liegt auf Mensch - und ermöglicht sein Ich. (I, 129)

War das mythische Denken ein imaginäres Bilder-Entwerfen, das im die Polarität umfassenden Kreises
eingeschlossen war, so handelt es sich bei dem gerichteten Denken um ein Objekt bezogenes
und damit auf eine Dualität gerichtetes Denken. Der mentale Mensch oder Gott sieht sich als Subjekt
einem Objekt gegenüber.

Diese Sicht möchte ich mit der Vorstellung von Erich Neumann wie folgt ergänzen:

Der Mensch im mentalen Bewusstsein sieht sich stets als Mann einem Nicht-Ich gegenüber.
Dieses Nicht-Ich wird als weiblich erfahren, das unbewusst mit der Grossen Mutter alter
Zeiten assoziiert dämonische Züge erhält.

Die Sanskrit-Wurzel von Mutter Ma(t) enthält Begriffe, wie matar, von dem sich Mutter und Materie
ableiten lassen, aber auch Meter und "messen". "Meter" und "Mass" gehört zum mentalen System,
mit welchem das männliche Ich das Mütterliche, die Materie, beherrschen will.

Jean Gebser formuliert "das Mass/messen" wie folgt:

...: dass die ursprüngliche Wurzel "ma: me" latent und komplementär auch das weibliche Prinzip enthält.
Denn das griechische Wort für "Mond" , men, geht auf diese Wurzel zurück.
Und die Sekundärwurzel "mat" erlebt ja in der heutigen patriarchalen Welt ihre Glorifizierung,
die sich in dem Beherrschtsein des rationalen Menschen durch die "Materie" und den
"Materialismus" zu erkennen gibt. War der Mond für den frühen Menschen der zeitliche Masstab,
so ist die Materie für den heutigen Menschen der räumliche Maßstab (S. 131)

"Das integrale Bewusstsein":

Integrales Bewusstsein heisst Ganzwerdung, die Wiederherstellung des unverletzten
ursprünglichen Zustandes unter dem bereichernden Einbezug aller bisherigen
Bewusstseinsleistungen. Dem integralen Menschen werden die verschiedenen
Strukturen durchsichtig und bewusst. Auch wird ihm die Auswirkungen auf sein eigenes
Leben und Schicksal gewahr. Die defizient wirkenden Komponenten wird er durch eigene
Einsicht derart meistern, dass sie jenen Grad an Reife und Gleichgewicht erhalten,
die für die Vorbereitung der Konkretisierung nötig sind. Konkretisierung heisst das Losungswort:

Denn es kann nur das Konkrete, niemals das Abstrakte integriert werden (I, 167)

Nach Jean Gebser versuchte erstmals Jacopo da Pontorm, ein Schüler von Leonardo da Vinci
den Sprung vom mentalen zum integralen Bewusstsein, denn in der "Lehre von den Kegelschnitten"
(1639) verlässt Pontorme den dreidimensionale Raum in den erfüllten Kugelraum.

Er verlässt damit die "Leere" des nur linearen Raumes und rührt an jene Dimension,
die als Erfülltsein, die zumindest latente Präsenz des Zeitlichen voraussetzt (I, 168f.)

Die Kugel ist das sinnfällige Symbol der integralen Struktur, zumal die sich bewegende
Kugel eine vierdimensionale Struktur darstellt. Die gleiche in sich bewegenden kreisförmige
Struktur sieht Jean Gebser z.B. auch in der klassischen Musik enthalten, weil jeder musikalische
Satz in der gleichen Tonart zu enden hat, in der er begann (I, 170).

Jean Gebser sieht unsere Zeit als reif, dass der Übergang vom mentalen zum integralen
Bewusstsein auf einer breiten Ebene vollzogen wird.

revidiert 9.11.02

© Esther Keller-Stocker, Horgen-Zürich (Schweiz)

Ich freue mich auf Ihren Kommentar, Ihre Anregung!
esther@estherkeller.ch


Dateianlage:
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"Die Erlösung kann nicht verdient, nur empfangen werden, - darum ist sie die Erlösung". -
zuletzt bearbeitet 04.11.2014 21:08 | nach oben springen
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