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Afrikanischer Tanz:

in Afrika: 03.06.2010 05:44
von Adamon • Nexar | 15.548 Beiträge

Bedeutung und Entstehung des Afrikanischen Tanzes

Grundsätzlich kann zu dem traditionellen afrikanischem Tanz wohl die Aussage gemacht werden, dass dieser immer in einem sozio-kultischen Kontext steht (der Afrikaner tanzt nicht nur um der Bewegung Willen) und immer mit Musik und anderen künstlerischen Elementen in Verbindung steht. In vielen afrikanischen Sprachen gibt es keinen Ausdruck für unseren westlichen Begriff von Musik. Die Begriffe, die im afrikanischen Sprachgebrauch zu finden sind, bedeuten meistens Tanz und Musik zusammen.

Die Entstehung des afrikanischen Tanzes lässt sich nicht so wissenschaftlich nachvollziehen, wie die Entstehungsgeschichten anderer moderner Tänze. Wahrscheinlich gibt es den afrikanischen Tanz, seit es Afrikaner gibt… und dazu wiederum gibt es einen Schöpfungsmythos, die “Schwarze Genesis” von Marcel Griaules, in dem ein afrikanischer blinder Jäger, der ein eingeweihter Weiser war, dem Autor die Mythen und das Weltbild seines Volkes mitteilt. Die Grundlage des Denkens und der Lebensweise in Schwarzafrika ist, dass die Lebenskraft, die Kraft des Wortes und der Rhythmus eine untrennbare Einheit bilden. Dabei steht die Erde stellvertretend für die Lebenskraft. Das Wasser (dessen Wellenbewegungen nach dem Schöpfungsmythos den Rhythmus erzeugen) befruchtet und nährt die Erde. Und das Wort erschien mit der Hilfe des Wassers, dem die Lebenskraft innewohnt. Durch das Wort werden Dinge lebendig – sie bekommen Gestalt, eine bestimmte Wirkung bzw. einen Ausdruck.

Das Zusammenwirken dieser Elemente, Lebenskraft/Erde – Wort – Rhythmus, gestaltet den Afrikanischen Tanz. Der afrikanische Tanz ist ein sehr erdverbundener Tanz. Der Tänzer nimmt die Energie der Erde beim Tanz in sich auf. Das, was getanzt wird, hat einen bestimmten Sinn, bzw. Ausdruck (das getanzte Wort), dieser Ausdruck wiederum ist verbunden mit einem bestimmten Rhythmus. So erfährt der Tänzer durch seinen Tanz immer wieder dessen Bedeutung und schöpft beim Tanz immer wieder neue Lebensenergie.

Erste Aufzeichnungen über afrikanischen Tanz waren in den in Afrika häufig vorkommenden Felsmalereien zu finden. Der wahrscheinlich älteste Fund ist ca. 26.000 Jahre alt und stammt aus Namibia. Festgehalten wurden in den Felsmalereien Abbildungen von Tänzern und rituelle Tanzszenen. Heute unterscheidet man sechs Tanzprovinzen mit unterschiedlichen Tanzstilen, auf die später noch eingegangen wird.

Die Vielfältigkeit des Afrikanischen Tanzes
Insgesamt unterscheidet Günther zwischen sechs afrikanischen Tanzprovinzen und damit auch Tanzstilen. Für jeden Stil gibt es typische Charaktere, die in den Tänzen sichtbar sind:

Saharischer Stil: hohe Sprünge mit beiden Beinen

Sudanesischer Stil: Isolierte Arme und Beine, Motionen des Kopfes und der weiblichen Brüste. Die Füße erzeugen oft harte Klänge beim Tanz.

Westafrikanischer Stil: Bewegungen der Beine (Multiplikation), stark isolierte Motionen des Schultergürtels, des Rückens und des Beckens.

Zentralafrikanisch-congolesischer Stil: Dieser Stil ist total polyzentrisch und damit binnenkörperlich. Wichtigstes Zentrum ist der Pelvis.

Südafrikanischer Stil: Sprung- und Stampftänze, anderer Einsatz der Beine als im sudanischen und Westafrikanischen Stil. Level-Bewegungen, Level-Wechsel, Fall-Bewegungen.

Ostafrikanischer Stil: Pelvis-Schüttler

Von diesen sechs unterschiedlichen Tanzstilen konnten drei in Nordamerika nachgewiesen werden, der sudanische Stil, der westafrikanische Stil und der zentralafrikanisch-congolesische Stil. Dies liegt an der Verschleppung der schwarzen Sklaven seit 1619, die überwiegend aus den drei genannten Tanzprovinzen stammten. Auf der Grundlage dieser Stile hat sich der afro-amerikanische Tanz weiterentwickelt.

Abgesehen von den unterschiedlichen Tanzstilen, gibt es in den verschiedenen Tanzprovinzen wiederum gemeinsame Anlässe zum Tanz. Der traditionelle afrikanische Tanz steht immer im sozio-kultischen Kontext. Der tanzende Afrikaner drückt sein Leben, seine Religion und seinen Alltag im, bzw. durch den Tanz aus. Tanz ist nach afrikanischem Glauben durch Gott entstanden, oder anders, die Welt ist entstanden durch den Tanz Gottes. So finden sich in der Literatur Angaben zu sakralen Tänzen (Fruchtbarkeit, Imitation, Anbetung), Maskentänzen, Initiationstänzen und erotisch-sexuelle Tänzen, Jagd- und Kriegtänzen sowie Unterhaltungstänzen. Diejenigen Ethnologen und Forscher, die sich mit dem afrikanischen Tanz auf wissenschaftlicher Basus befassten, gehen davon aus, dass der Ursprung des Tanzes ein sakraler gewesen ist.

Sakrale Tänze: Fruchtbarkeit war gerade in Situationen von starker Gefährdung durch die Umweltbedingungen ein hohes Gut. Die Förderung der Fruchtbarkeit war somit Inhalt von Zeremonien und Tänzen, um diese zu beschwören. Der Tanz und die dazugehörenden Zeremonien gelten als magisch-energetische Sprache und Wirkungsmöglichkeit. Fruchtbarkeitstänze zeichnen sich u. a. durch koitale Bewegungen aus. In den Imitationstänzen werden Szenen des täglich tatsächlich zu bewältigende Lebens, z. B. Jagd- und Krieg, dargestellt. Die Darstellung erfolgt so exakt wie möglich – hier können die Krieger noch einmal ihr ganzes Geschick zeigen.

Maskentänze: In ihrer Religiosität ist den Afrikanern der Kontakt mit übernatürlichen Kräften sehr wichtig. Dieser Kontakt wird durch die Maskentänze hergestellt und gepflegt. So glauben die Afrikaner z. B., dass die verstorbenen Ahnen einer Familie in der jenseitigen Welt mit den Göttern zusammenleben und dort die Macht besitzen, zum Wohl der Gemeinschaft in die diesseitige Welt der Hinterbliebenen einzuwirken. Die afrikanische Maske besteht aus einer Maske für das Gesicht und einem Maskenkleid, ein geschmücktes Gewand. Von dem Maskentänzer darf keine Haust zu sehen sein.

Initiationstänze: Solche Tänze finden immer zu den Übergängen bestimmter Lebensabschnitte statt. Letztendlich geht es auch hier darum, den Kontakt zu Welt der Götter und Ahnen herzustellen. Für jeden Lebensabschnitt, z. B. Geburt, Reife, Heirat, Fruchtbarkeit, Tod, gibt es jeweils bestimmte Tänze. Meist sind Initiationen mit mehrtägigen Feierlichkeiten und verschiedenen Einweihungstänzen verknüpft.

Kriegstänze: Diesen Tänzen wird eine hohe tänzerische Qualität zugesprochen. Tanzen dürfen diese Tänze nur die Krieger selber. Durch den gemeinsamen Tanz wird die Bande zwischen den Kriegern gefestigt. Auch die Maskerade der Krieger gilt als sehr aufwendig und schön anzusehen (Umhänge aus Fellen, dickpelzige Arm- und Beinschoner und reich verzierte Speere).

Unterhaltungstänze: In einigen afrikanischen Völkern gibt es eine weniger starke Trennung zwischen Ehrfurcht und Humor. Der Unterhaltungstänzer verkörpert nicht die Ahnen, sondern ist lediglich zu Unterhaltung bestellt, wobei sein Tanz ähnlich ausdauernd sein kann, wie ein sakraler Tanz. Der Unterhaltungstänzer tritt bei allen möglichen Festen, z. B. auch bei Heirat und Beerdigung auf oder wird von Familien bestellt. Die Maske des Unterhalters stellt keinen Ahnen, sondern eine Karikatur dar. In einigen Gegenden werden Unterhaltungstänze bereits professionalisiert und gehen in eine Form von Akrobatik über. Die Schritte sind aus den Initiationstänzen und Ritualtänzen entnommen und dann improvisiert und umgeformt worden.

Erotisch-sexuelle Tänze: Die erotisch sexuellen Tänze nehmen eine bevorzugte Stellung der Freude und Unterhaltung ein. Sie gingen aus den Fruchtbarkeitstänzen hervor und stellen meistens sehr eindeutig den sexuellen Vorgang dar. Die Unterhaltung erhalten die Tänze u. a. durch den eingebauten Humor, so z. B. “tanzen zwei Mädchen körpernah die verräterischen Bewegungen; eine Nonne stürzt aus dem Haus und jagt die Mädchen auseinander” oder “um einen Maibaum herum führen vier Tanzpaare erotische Tänze vor, in einer Freizügigkeit, umwerfenden Komik und Gelöstheit… ein junger Mann trippelt zitternd vor Begierde auf das ausgewählte Mädchen zu …[dieses] wirft den zudringlichen Kerl zu Boden, zum Amüsement der anderen, zuletzt besteigt einer der jungen Männer das Maibäumchen und gelangt dort zum Erfolg”. In andern Volksstämmen ging es bei dem erotischen Tanz ursprünglich darum, dass die Frauen ihr erotisches Können den zukünftigen Bräutigamen zeigten, wobei in diesem Tanz tatsächlich wenig sexuelles geschah.


Terminologie und Technik

Die Tanzterminologie des afrikanischen Tanzes ist bisher nicht vollständig erfasst, was sicher auch an der Vielfalt der afrikanischen Tänze liegt. Dennoch gibt es einheitliche Grundzüge, die im nachfolgenden benannt werden sollen. Teilweise finden sich diese Begrifflichkeiten in den sich aus dem afrikanischen Tanz weiterentwickelten Tänzen wieder (z. B. Jazz Dance, Modern Dance).

Die Bewegungstechnik, die allen afrikanischen Völkern beim Tanz gemeinsam ist, nennt sich “Polyzentrik”. Dies unterscheidet den afrikanischen Tanzstiel von allen anderen (vor allem den westlichen) Tanzstilen der Welt.

Polyzentrik bedeutet, dass der Körper nicht als geschlossene Einheit eingesetzt wird, sondern jede Körperregion als ein eigenes Tanzzentrum agiert. Dadurch wird es möglich, dass der Körper die vielschichtigen Metren der afrikanischen Musik durch isolierte Bewegungen widerspiegelt (z. B. Arme und Beine bewegen sich rhythmisch unterschiedlich). “Polyzentrik soll bedeuten, dass der afrikanische Tänzer seinen Körper und damit sich selbst nicht als Einheit erlebt und einsetzt, sondern dass er diesen seinen Körper regelrecht auflöst, sprengt und zerreißt.” (Günther, 1969)

Isolation: Die Isolation ist die Voraussetzung für das körperliche Erleben der Polyzentrik und bedeutet die Aufteilung des Körpers in verschiedene Körperzentren: Kopf, Torso, Pelvis (Becken), Arme, Beine. Innerhalb dieser Hauptzentren wird nochmals in Unterzentren (body aereas) unterteilt. Der Torso wird untergliedert in Brustkorb, weibliche Brüste, Schultergürtel und Schulterblätter. Die Beine unterteilt man in Oberschenkel, Unterschenkel und Füße. Innerhalb des Körperzentrums Arme wird unterschieden in Oberarm, Unterarm, Hand, Finger. Innerhalb der Hüftregion (Pelvis) können noch die “buttocks” (Gesäßhälften) isoliert werden.

Relaxation: Als Relaxation wird das Verhältnis von Spannung und Lockerung der einzelnen Körperzentren bezeichnet. Um einzelne Körperzentren isolieren zu können dürfen nur einzelne Körperzentren angespannt werden, andere müssen dabei entspannt bleiben. Relaxation ist also eine Voraussetzung für die Isolation.

Collapse: Dies bezeichnet die für die Isolationstechnik erforderliche Körperhaltung. Der Oberkörper (die Wirbelsäule) ist nach vorn gebeugt, ebenso werden die Knie flektiert, der Po darf nach hinten hinaus ragen. Diese Haltung zeigt wieder, dass der afrikanische Tänzer sehr erdverbunden ist. Die Tänze streben nicht in die Höhe, sondern in die stampfende Abwärtsbewegung / Rückkehr zum Boden / Mutter Erde (auch hohe Sprünge streben in die stampfende

Lead and Impulse: Ein isoliertes Zentrum führt ein anderes Zentrum in eine Bewegung hinein. Dabei bleiben beide Zentren isoliert, es ist eine deutliche zeitliche Reihenfolge zu erkennen.

Koordination: Zwei bis drei Körperzentren werden gleichzeitig isoliert voneinander bewegt.

Kombination: Zeitlich nacheinander folgende verbundene Bewegungen nur eines Zentrums. Diese Bewegungen können so ausgeführt werden, dass z. B. eine geometrische Figur entsteht (Kreuz, Kreis, Quadrat…)

Parallelismus: Verschiedene Zentren und Aereas bewegen sich in die gleiche Richtung. Bspl. Aerea: Beide Schultern gleichzeitig hoch oder Bspl. Zentrum: Pelvis nach vorn und Schultern nach vorn.

Opposition: Verschiedene Zentren und Aereas bewegen sich in verschiedene Richtungen. Bspl. Aereas: Rechte Schulter hoch, linke Schulter tief. Bspl. Zentren: Pelvis zurück, beide Schultern vor.

Multiplikation: Ein einheitlicher Bewegungsablauf wird in mehrere Bewegungen aufgeteilt und somit vervielfacht (multipliziert). Die unterschiedlichen Bewegungen können zudem noch verschiedenartig akzentuiert getanzt werden.

Binnenkörperlichkeit: Eher im zentralafrikanischen Tanzstil anzufinden. Alle tänzerischen Bewegungen finden nur innerhalb des Körpers selbst statt – jede Raumbewegung entfällt.

Shakes: Schüttelbewegungen der Schulter und des Rückens. Zeichen für Ekstase des Tänzers. Durch Lead and Impulse versetzen die Schüttelbewegungen den ganzen Oberkörper in Wellenbewegungen. Im zentralafrikanischen Tanz kennt man noch die Buttock-Shakes.

Levels: Hiermit wird das Verhältnis des Körpers zum Boden angegeben, z. B. Stehen, Hocken, Knien, Sitzen, Kriechen, Liegen

Afrikanischer Tanz-Signalismus: Die aktiven isolierten Zentren werden durch äußere sichtbare oder auch hörbare Zeichen kenntlich gemacht.

Eigene Tanzerfahrung
Zur Zeit bin ich dabei, einen afrikanischen Tanz zu erlernen: Atilogwu. Dies ist ein Tanz, der aus der Region um Ghana stammt und zu allen Begebenheiten getanzt wird, in denen es um Heilung geht (Bitte um Heilung, Dank für die Heilung, während eines Heilungsprozesses...). Vorwiegende Bewegungen sind hier deutlich in der Beinregion zu erkennen. Der Tanz ist untergliedert in verschiedene Einheiten. Kennzeichnend für die Einheiten ist wiederum, dass innerhalb einer Einheit sehr ähnliche Bewegungen immer wiederholt werden. Diese Wiederholungen und der ständige Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung machen es vermutlich möglich, dass Afrikaner sich regelrecht in Trance tanzen können, bei mir löst dies (mittlerweile&#9786, ein Gefühl von Entspannung aus.

Um es direkt mit der entsprechenden Terminologie zu benennen: Polyzentrik ist das Ziel des afrikanischen Tanzes. Doch ich glaube der Weg zur Polyzentrik ist für uns Europäer sehr schwer. Ich nehme meinen Körper als eine ganzheitliche Bewegungseinheit wahr und empfinde es als sehr schwierig, einzelne Körperzentren zu isolieren und dann wiederum zu kombinieren oder gleichzeitig unterschiedlich zu koordinieren – erste Versuche ließen mich schier verzweifeln und es kostet mich sehr viel Konzentration, unterschiedliche Bewegungen gleichzeitig auszuführen. Andererseits ermöglicht mir der afrikanische Tanz eine vollkommen andere Körperwahrnehmung und auch wenn mein Kopf bisweilen am liebsten streiken möchte, erlebe ich meinen Körper nach dem Tanz als sehr ausgeglichen und entspannt, was mich an den religiösen Ursprung des Tanzes erinnert: Lebenskraft im Tanz schöpfen, Energie aus dem Boden aufnehmen.

November 2003, Sabine Bleckmann


Literatur
Berger, Renato: African Dance. Afrikanischer Tanz in Vergangenheit und Zukunft. Ursprung und Diaspora. 1984, Wilhelmshafen, Heinrichshofen’s Verlag

Blersch, Ines / Brugger, Barbara: Tanzen zwischen Himmel und Erde. Afrikanischer Tanz. 1993, Freiamt, Arbor Verlag

Günther, Helmut: Jazzdance. Geschichte, Theorie, Praxis. 2. Auflage, 1982, Wilhelmshaven, Heinrichshofen´s Verlag

Günther, Helmut: Grundphänomene und Grundbegriffe des afrikanischen und afro-amerikanischen Tanzes. 1969, Graz


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