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Das Dämonische nach W. v. Hollander:

in Dämonen: 14.10.2014 09:17
von Adamon • Nexar | 15.548 Beiträge

Aus: http://www.zeit.de/1946/02/ueber-das-daemonische

Von WALTHER VON HOLLANDER

Neben dem Reiche der Erkenntnis, das wir beherrschen, und dem weiteren Reiche, das wir durch den Willen beherrschen können, gibt es sowohl im Menschen als auch im Kosmos Zwischenreiche, über die kein Wille ohne weiteres gebietet, und in die keine Intelligenz, sei sie noch so scharf, eindringt. Da liegt das Reich der Gefühle, in dem der Wille wenig zu sagen hat, und die Erkenntnis höchstens eine beratende Stimme führt, ein Reich, über welches höchstens die Zeit regiert, die alles zermahlende, alles mit dem Staub des Vergessens zuschüttende, ausfüllende, verwischende Zeit. Aber noch eine Stufe tiefer hinab liegt in ewiger Dämmerung, von keinem Strahl der Erkenntnis erfaßt, von keinem Willen noch je durchmessen, ein anderes Reich, das den meisten Menschen unbekannt ist, vor dem sie sich fürchten, das sie ableugnen, und das doch immer wieder mit Schattenarmen, mit unhörbaren Stimmen, mit plötzlichen Überfällen, in das Leben jedes Menschen hineinwirkt, und die einen zu Glanz und Wirkung führt, die andern in einem unbegreiflichen Sturz in die Abgründe der Vernichtung hineinstößt. Es ist das Reich des Dämonischen, das mit vielen Namen genannt wird, von vielen Seiten berannt ist, das die Philosophen ebenso aufzulösen trachteten, wie die Psychoanalytiker, das die meisten Religionen als ein Reich des Bösen betrachten und ablehnen.

Die Macht des Dämonischen ist jedem sehenden Menschen offenbar, und Seelenblinden, die es leugnen, werden oft am meisten von Dämonen geschüttelt. Diese Leugnung des Dämonischen kommt nicht nur aus der kreatürlichen Angst vor allem Unbekannten, sondern vor allem, auch aus dem Streben nach Sicherheit, das jedem Menschen genau so eingeboren ist wie der Wille zum Leben selbst. Jede Religion, jede Philosophie, jeder wissenschaftliche Versuch, jede technische Bemühung, jedes Machtstreben, ja, selbst jeder Krieg geht auf diese Sicherheit aus. Die „aufgeklärten“ Jahrhunderte haben ein ganzes System der Sicherheiten erkämpft, erdacht und erklügelt, und meinten, damit das Recht des Unerkennbaren, des Dämonischen, immer mehr eingeengt und das Wirken des Dämonischen immer mehr geschwächt zu haben. Langsam ahnen wir alle, daß die großen Dämmerungsbezirke, in denen die Dämonen herrschen, immer unbegrenzt waren, immer unbegrenzbar bleiben werden, nicht zu besiegen sind, nicht zu erobern, sondern lediglich im Menschen selbst, in dem mächtigsten Geschöpf der Schöpfung also, ein wenig zu bändigen, zu lenken, und unter Umständen in schöpferische Kraft zu verwandeln.

Rationalismus, Wissenschaft, Philosophie und selbst Religionen sind ohnmächtig, solange sie das Bestreben haben, das Dämonische auszuschalten – einerlei ob durch Erkenntnis oder durch den Willen. Aber sie sind am Platze, um die Außenbezirke des Dämonischen zu erhellen. Vor allem braucht man sie, um die Alltagsdämonen zu entlarven, alle jene kleinen Gefühle, Ungezogenheiten, Seltsamkeiten, Bizarrerien und Zauberspäße, deren sich gern die Halbgötter unter den Menschen, vor allem unter den Künstlern, bedient haben oder bestimmte Arten triebhafter Frauen, und mit denen sich sogar bedeutende Staatsmänner und Wissenschaftler drapiert haben, um sich in den Augen einer urteilslosen Menge ein besonderes Ansehen und Aussehen zu geben.

Das Dämonische bezeichnet nur allzuoft etwas Romantisch-Verschwommenes, etwas Unbeherrschtes, Abruptes, Seltsames und Skurriles. Oft allerdings auch erwas an gewissen Menschen, was so stark ist, daß es Macht über andere Menschen gewinnt und sie zu seinen Zwecken gebrauchen oder mißbrauchen kann. Der Kriminalroman der letzten fünfzig Jahre, arbeitet gern mit diesem Bild des Pseudo-Dämonischen, das aber nichts anderes ist als ein starker Wille und eine große Suggestionskraft, die von bestimmten Willensmenschen ausgeht, und der sich willensschwache Menschen nur gar zu gern unterwerfen. Derlei Figuren gehören also noch in den Bereich des Willens, und die Suggestionen sind leicht erklärbare Phänomene der Willensübertragung, die nichts mit dem Dämonischen zu tun haben.

Was aber ist das Dämonische nun wirklich? Bei Plato ist es noch die göttliche Stimme, die beratende und warnende Stimme, die von außen, her den Menschen beeinflußt. Es ist bei den Vorplatonikern alles, was einem bestimmten Gott nicht zugeschrieben werden kann, jede auffallende Handlung und Gemütsäußerung, für die kein Gott zuständig ist, die außerhalb des Göttlichen liegt, und daher den Halbgöttern, den Dämonen, zuzuschreiben ist. Das ganze Altertum über gibt es gute und schlechte Dämonen, während in der christlichen Kirche die Dämonen als böse Wesen betrachtet wurden, als Widergötter gegen den einzigen, allmächtigen und guten Gott, als die Träger der Krankheiten, der Leidenschaften und schließlich des Bösen schlechthin. Alle Macht der Dämonen und des Dämonischen wurde so schließlich Teufelswerk, und eine ganz große Kraftquelle des Menschen unter das Zeichen der Negation gestellt.

Goethe, der sein Leben lang sich mit dem Dämonischen beschäftigt und mit ihm gerungen hat, ist wahrscheinlich der erste, der das Dämonische als etwas Positives erkennt und kennzeichnet. Auf eine Frage Eckermanns, ob der Mephisto dämonischer Natur sei, lacht Goethe und sagt: „Nein, der Mephistopheles ist ein viel zu negatives Wesen. Das Dämonische aber äußert sich in einer durchaus positiven Tat.“ Für Goethe ist das Dämonische „jene geheime problematische Gewalt, die alle empfinden, die kein Philosoph erklärt, und über die sich der Religiöse mit einem tröstenden Wort hinaushilft“.


Es erscheint in allen Begebenheiten, „die wir durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen vermögen“. Es manifestiert sich auf die verschiedenste Weise in der ganzen Natur, in der unsichtbaren wie in der sichtbaren. „Manche Geschöpfe sind ganz dämonischer Art.“ – Goethe rechnet dazu Napoleon, Friedrich den Großen, Karl August von Weimar und Paganini – „in manchem sind Teile von ihm wirksam“. Und von sich selbst sagt er- das erstaunliche Wort: „In meiner Natur liegt- das Dämonische nicht. Aber ich bin ihm unterworfen.“

Hier scheint uns ein Schlüssel zu stecken, der uns eine kleine Tür wenigstens ins Reich des Dämonischen aufschließt. Das Dämonische ist nach diesem Wort vor allem eine Kraft, die sich in der Natur oder besser gesagt im Kosmos befindet, und die sich – auch das sagt Goethe zu Eckermann – „gern an bedeutende Figuren wirft“. Das Dämonische wäre demnach nicht im Charakter des Menschen selbst enthalten, sondern wäre etwas, was außerhalb des Menschen wirkt, von außerhalb her ihn überfällt. Und dämonisch wäre vor allem der Mensch zu nennen, der diesem Dämonischen am meisten ausgesetzt ist, sei es, daß er die feinsten Empfangsorgane für das Dämonische besitzt; sei es, daß er. sich überhaupt in seiner ganzen Struktur zum Instrument des Dämonischen eignet, welches ja seinen Wirkungswillen hat und ihn. sofern nicht andere Mächte dem entgegenstehen, schärfstens auszuwirken bestrebt ist.

Uns Nachfahren der aufgeklärten Jahrhunderte, die wir alle es noch im Blute haben, nur das Sichtbare und Faßbare zu glauben, kommt es schwer an, eine Macht anzuerkennen, die außerhalb des Menschen steht und ihn je nach seinem Charakter überfällt oder übergeht. Zu sehr haben wir uns in die neuzeitliche Haltung hineingefunden, nach welcher der Mensch alle Macht über sich hat. Zu sehr ist uns sowohl die antike Auffassung der Führung durch die Dämonen, zu sehr die mittelalterliche fremd geworden, nach welcher die Dämonen den Menschen verfolgen und verderben. Der heutige Mensch fühlt sich letzten Endes frei. Was er schafft, hält er für sein Verdienst, was er zerstört, das nimmt er als seine Schuld an. Und in ‚bestimmten Grenzen des Lebens, im Mittelbezirk, der von der Vernunft regiert, von der Erkenntnis verwaltet, vom Willen behütet wird, in diesem Mittelbezirk, der in der nie untergehenden Sonne des Augenscheinlichen liegt, ist es auch so. Aber die Randbezirke, die Untergründe, unterstehen noch anderen Mächten. Jeder Künstler weiß es, wann ihn der gute Dämon anrührt, er weiß es, daß die Geschichte und die Gebilde, die Töne und die Farben, nicht von ihm sind, sondern von einer Macht, die ihn besitzt und wieder losläßt, die sich seiner bemächtigt, die ihn auf Adlers Fittichen trägt, die ihn Tiefblicke und Weitblicke tun läßt, um ihn plötzlich in den Abgrund des Nichtigen zurückzuwerfen. Jeder weiß es, den nicht der Dämon ganz besessen gemacht hat, der sich des Unterschiedes bewußt bleibt zwischen der privaten Existenz und dem künstlerischen Dasein. Alle gewaltigen Schöpfungen sind mehr oder minder dämonischer Natur, von Dämonen dem Menschen eingegeben, durch Dämonen in ihm und durch ihn bewirkt. Fast alle großen Taten dieser Welt sind vom Dämonischen mitbewirkt. Sie kommen mit ihren Kräften aus Tiefen, die kein Verstand auslotet, aus Bezirken, die kein Wille mehr vollständig, beherrscht. Sie haben eine Aufgabe, deren Ziel im Dunklen liegt, und deren Weg nur allzuoft mit Trauer und Zerstörung bepflanzt ist.

Dies alle? sind zunächst tastende Versuche, einer Wirkungsgewalt, der wir alle ausgesetzt sind, die ersten Umrisse zu geben. Ausgesetzt – aber nicht ausgeliefert. Freilich wird der Mensch, der in sich die Kräfte zu etwas Außergewöhnlichem spürt, und der gleichzeitig verspürt, wie ihn eines Tages unnennbare Kräfte – erfassen und ihm die Kraft geben, zu seinem Ziel zu kommen, freilich wird dieser Mensch sich dem Dämon nicht widersetzen wollen. Im Gegenteil: er wird sich bereit machen, ein Instrument zu werden, fügsam sich hingebend den Kräften, die ihn aufheben, auch wenn in diesem Aufheben die Gefahr des Sturzes enthalten ist. Wer aber ein. wenig mit diesen Kräften in Berührung gekommen ist, der wird auch wissen, daß man sie nicht einfach ohne Widerwehr auf sich und in sich wirken zu lassen braucht. Der wird erkennen, daß der Mensch nicht nur das Instrument von unbekannten Kräften ist, die ihn je nach seiner Fähigkeit und nach ihrem Belieben überfallen oder verlassen, sondern daß er auch noch etwas an und für sich ist. Etwas, das ja und nein zu sagen hat, etwas, das dem Bereiche der Dämonen entgegengehen kann oder ihm ausweichen, der darin verweilen kann oder aus ihm; fliehen.

Zwar scheint das Dämonische – wiederum Goethe – so mächtiger Natur zu sein, daß es am Ende doch recht behält. Nur muß der Mensch auch wiederum gegen das Dämonische recht zu behalten suchen, und man muß dahin trachten, durch allen Fleiß und Mühe die Arbeit so gut zu machen, als es in unseren Kräften steht. Wir sehen daraus, daß der Mensch nicht freizusprechen ist von seiner Verantwortung, daß er immer in der Lage bleibt, das Schiff zu lenken.

Ist das Dämonische nun etwas Göttliches oder ist es vom Teufel? So fragt Eckermann am Ende der Unterhaltung über das Dämonische seinen Lehrmeister Goethe, und Goethe, knapp ein halbes Jahr vor seinem Tode, in der letzten Arbeit am letzten Teil des zweiten Faust, Goethe antwortet lachend: „Liebes Kind, was wissen wir denn von der Idee des Göttlichen, und was wollen denn unsere engen Begriffe vom höchsten Wesen sagen.“

Es scheint uns demnach unmöglich, dem Dämonischen seinen Platz in einem Weltgehäuse anzuweisen. Es scheint uns nicht mehr möglich, als seine Existenz zu bejahen und sich seiner Wirkung zu freuen, wenn es führt, und uns ihr entgegenzusteuern, so gut es gehen mag, wenn es uns zu verführen scheint. Alles ist nicht in unsere Hand gegeben.

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zuletzt bearbeitet 14.10.2014 12:45 | nach oben springen
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