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„Wahr ist es in der Tat, dass du zu den Unsterblichen zählst.
Doch geboren wurdest du, um wieder sterblich zu werden.
Du musst auf die Erde herabsteigen, ein Lehrer den Frauen und Männern zu sein,
deren Wunsch es ist, in deiner Schule Hexenkunst zu lernen.“
(Charles Godfrey Leland: „Aradia, or the Gospel of the Witches“)
Wie bei vielen Göttern und Göttinnen liegt auch Aradias Ursprung im Dunklen.
In wechselnde Namen gekleidet begegnet sie uns in verschiedenen Kulturen,
Mythologien und Glaubensgemeinschaften.
Sie hat viele Auftritte im Labyrinth der Geschichte, ob nun als Göttinnen oder menschliche Frauen.
In den nächsten Zeilen werden wir die Fäden zurückverfolgen, um sie ein wenig besser kennen zu lernen.
Aradia - Die erste Hexe:
Warum hat Aradia im Wicca einen Platz gefunden?
Ein wichtiger Teil der Wicca-Liturgie ist die Anrufung der Göttin,
welche von Doreen Valiente in Teilen aus Charles G. Lelands 1899 erschienenem Werk
„Aradia, or the Gospel of the Witches“ entnommen und umgeschrieben wurde.
In dem Werk selbst ist von Aradia recht viel zu erfahren.
Sie ist die Tochter der römischen Göttin Diana.
Diese hatte sich vor der Schöpfung geteilt, in sich die Dunkelheit erschaffen
und damit das Licht (Lucifer = Bruder und Sohn).
Um sich mit Lucifer wieder zu vereinigen, kam sie in Gestalt seiner Lieblingskatze zu ihm
und sang Liebeszauber.
Daraufhin gebar sie Aradia, welche sie, als Wiedergutmachung der Sünde,
mit ihrem Bruder - „dem bösesten aller Geister“ (zit. Leland)
- ein Kind gezeugt zu haben, zu einer wohlwollenden Göttin machen wollte.
Was folgte, ist aus dem oben stehenden Zitat zu entnehmen.
Diana schickte Aradia zu den versklavten Menschen, um ihnen Hexenkünste
(z. B. Liebes- und Glückszauber) zu lehren und sich ihrer Unterdrücker zu entledigen.
Dies geschah oft mit radikalen Mitteln wie Giftmord, Flüchen, etc.
Diana, Göttin des Himmels (hier ist Lucifer als Lichtgott auch dem Mond zugeordnet),
sandte ihre Tochter also als Sterbliche auf Erden,
um die Menschen zu befreien und danach wieder in den Himmel aufzusteigen.
Mit einem Zauber der Aradia konnte man auch Wasser in Wein verwandeln,
einen Wiedererkennungswert dürften diese Zeilen wohl haben;
ähneln sie doch sehr stark den christlichen Vorstellungen vom Erlöser Jesus Christus.
In Lelands Buch sind viele Anrufungen und Zauber beschrieben,
auffällig sind hier die Arten der Beschwörungen; Drohungen,
Lobpreisungen und Flehen wechseln sich ab.
Erst begegnet man Aradia und Diana in Augenhöhe,
dann weit darunter und bald darauf schaut man auf sie herab.
Leland selbst glaubte, der Name „Aradia“ sei auf die römische oder etruskische Göttin
Herodias (ital.: Erodiade) zurückzuführen, welche ein neuerer Name der Göttin Lilith sei.
Bei der Göttin Herodias sind sich die Historiker um deren Herkunft nicht einig.
Eine weit verbreitete Annahme jedoch ist, dass es eine aus einem Unverständnis
erwachsene Wortschöpfung aus den beiden Göttinnen Hera und Diana sei.
Dass die „Aradia-Herodias“ und die biblische Herodias
aus dem Neuen Testament etwas verbindet, ist umstritten.
Laut Doreen Valiente verfolgt Michael Harrison in seinem Buch „The Roots of Witchcraft“
noch eine andere Theorie zur Herkunft des Namens.
Ihm war die offenkundig nahe Verwandtschaft des Namens Aradia
mit dem baskischen Wort araldia (Fruchtbarkeit, Fülle) aufgefallen.
Seiner Meinung nach leitet sich der Name der Göttin also noch
aus den alten vorindoeuropäischen Sprache ab, deren letzte Überlebende in Europa heute das Baskische ist.
Doch es geht noch weiter:
Auch der Gottname Janicot ließe sich laut Valiente und Harrison aus dieser Sprache herleiten.
Gerald Gardners Bricket Wood Coven nutzte ihn und stellte ihn Aradia zur Seite;
das erste Mal taucht der Name allerdings in den Gerichtsunterlagen
des für das Baskenland verantwortlichen französischen Inquisitors Pierre de l'Ancre (1553-1631) auf.
Der Baskisch-Experte Harrison meint hier wiederum,
eine Verwandtschaft zum Wort jainco (Gott) oder eine Verballhornung dieses Wortes feststellen zu können.
Die Quelle Lelands war nach seinen Angaben eine italienische Hexe Namens Maddalena,
die er 1886 kennen lernte.
Leland beauftragte sie, das geheime Wissen der Stregae
(Hexenfamilien mit weit zurückreichender Überlieferungstradition) zu sammeln und ihm zu überlassen.
Nach 10 Jahren überreichte sie ihm die erarbeiteten Schriften und verschwand.
An der inhaltlichen Echtheit dieser Manuskripte wird allerdings gezweifelt.
Leland selbst hat die Quellen Maddalenas nicht gekannt.
Der Umstand, dass Maddalena 10 Jahre gesammelt hat, lässt vermuten,
dass sie nicht ihre eigenen Erfahrungen und Traditionen beschrieben hat.
Diese werden in anderen Büchern von Leland dargelegt (z. B. „Legends of Florence“,
„Etruscan Roman Remains“) und unterscheiden sich stark von den Bräuchen
in „Aradia, Gospel of the Witches“.
Auch kam die Frage auf, warum altes Familienwissen, was so lange geschützt wurde
und eine Mysterienreligion ist, an einen Außenstehenden weitergegeben
und als Buch veröffentlicht werden sollte.
Andere wiederum hatten den Verdacht, dass Leland die Schriften, die er bekam,
verfälscht abschrieb, so z. B. der italienischstämmige Autor und Wicca Raven Grimassi
– zugleich Gründer der sog. aridianischen Tradition, die ihre Wurzeln in der Stregheria haben soll.
Aidan Kelly - 1968 Mitbegründer des New Reformed Orthodox Order of the Golden Dawn,
eines Wicca-Ablegers - sah in der Befreierin der Unterdrückten einen erotischen Charakter,
der die sexuelle Vereinigung als einen Ausdruck göttlicher Lebenskraft
und mehr noch als einen Akt des Widerstandes propagierte.
Ebenfalls sieht er ihre Rolle als die einer Heldin und Führerin im italienischen Bauernkrieg.
Allerdings ist seine Ansicht nicht weit verbreitet worden.
Grimassi, wie auch Leland selbst, sehen in ihr vielmehr eine weiblich Erlöserfigur,
die in Leben und Wirken mit Jesus Christus vergleichbar ist.
Aradias Weg von Italien nach Serbien:
Stregheria, die Glaubenstradition der italienischen Hexen
(oft wird zwischen Stregheria = katholisch orientierte Zauberei und Stregoneria
= ursprüngliche heidnische Religion, fragmentarisch bis ins 17. Jh. überlebend, unterschieden),
hält ihre Anfänge und ihr Wirken bedeckt, aber Aradia hat ihr offenbar im 14. Jh. vermehrt Anhänger beschert.
Nach Raven Grimassi wurde im Jahr 1313 in Volterra eine Frau geboren,
die unter dem Namen Aradia di Toscano bekannt ist,
aber auch als Santa Strega oder La bella pellegrina verehrt wurde.
Grimassi glaubt, dass ihre Person die Vorlage für das Werk von Leland schuf.
Sie wurde von ihrer Tante in die „Alte Religion“ eingeweiht und widmete
deren Verbreitung ihr ganzes Leben.
Wie die Aradia von Leland soll auch sie die Armen und Unterdrückten befreit haben.
Sie hatte 12 Jünger (6 Pärchen), welche nach ihrem Verschwinden
- sie floh vor der Inquisition angeblich nach Serbien - weiterhin predigten.
Im Jahre 1508 veröffentlichte der italienische Inquisitor Bernardo Rategno seinen
„Tractatus de Strigibus“ und behauptete darin,
durch das Studium alter Inquisitionsakten für die Zeit um 1350 eine „Hexensekte“ nachweisen zu können,
die sich unter Führung einer „messianischen“ Frau sehr schnell ausgebreitet hat.
Laut dem italienischen Historiker Carlo Ginzburg existierte in Serbien
bis zum frühen 17. Jh. in der Tat eine Sekte der Calusari, eine Glaubensgemeinschaft,
die eine mystische Kaiserin mit Namen Irodeasa oder Arada verehrte
und sie ebenfalls als Königin der Hexen oder Königin der Feen ansah.
Guglielmiten:
Die Glaubensgemeinschaft der Guglielmiten in Mailand verehrten bereits im 13. Jh.
eine Frau als Erlöserin.
Anders als bei den Calusari und der Arician-Tradition findet sich keine Verwendung
des Namens Aradia, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass die Guglielmiten
die Entwicklung der oben genannten Bewegungen beeinflusst hat.
Die 1210 geborene Guglielma Blazena, Tochter König Ottokars I. von Böhmen,
sah sich selbst als Inkarnation des heiligen Geistes und gründete
eine Gemeinschaft mit dem Ziel, die christliche Kirche zu erneuern,
indem das Weibliche gestärkt wird.
Sie plädierte für weibliche Kardinäle und für Päpstinnen.
Ihre Herangehensweise war aber weniger die auf die Befreiung der Unterdrückten,
sondern auf gegenseitige Versöhnung und Liebe ausgelegt.
Es war üblich, sich nachts zu treffen, da die Nacht der Mutter gehört,
und die Predigten nackt zu halten bzw. zu hören.
Auch diese Bewegung wurde von der Kirche verfolgt.
Hera, Diana, Aradia, Herodias ?
Die antiken Göttinnen Hera und Diana haben sich überschneidende Zuständigkeitsgebiete.
So sind beide für Gebärende da, stehen mit dem Mond und der Magie in Verbindung.
Diana hat zudem starken Einfluss auf die Fruchtbarkeit, die Jagd und somit auch den Tod.
So zeigen sich Diana und Hera als selbstbestimmte, starke Göttinnen
(wie oft musste sich Zeus vor dem Zorn seiner Frau fürchten!).
Während die römische Diana die ewige Jungfrau ist, steht die griechische Hera für die Ehe.
Sie beide zusammen stellen somit ein starkes Symbol für Frauen da,
die ganze Frau mit ihrer Macht.
Laut Ginzburg wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn Diana und Hera zusammengeschlossen worden wären,
um den Hexen wieder eine ganze, große Göttin zu geben: Heradiana.
Die linguistischen Schritte bis zu Herodias sind klein.
Die Herodias aus dem Neuen Testament kann durchaus etwas mit dieser Göttin zu tun haben.
Beide Seiten, die christliche Kirche wie auch die Hexen,
können die Gestalt der Herodias aus dem Neuen Testament
aus dem gleichen Grund mit der Göttin zusammenbringen.
Die Kirche hat wieder eine Frau, die durch ihre Macht dem Christentum schadet
(sie erbittet und erhält den Kopf des Wegbereiters Christi - Johannes des Täufers)
und die Hexen eine starke Frau, die sich dem Christentum widersetzt
(wenn Herodias auf Lilith zurückzuführen ist, wäre dies das zweite Mal).
Aus der Herodias wird in Italien die Erodiade, aus dieser vielleicht Aradia.
Der Name „Aradia“ taucht vor der Veröffentlichung Lelands nirgends auf.
Der Name kann in lateinische Fragmente zerlegt werden:
arabile und dea = fruchtbare Erde und Göttin oder aber ara und dea.
Ara bezeichnet einen Altar (meist über dem Herd).
So spiegelt der Name die Legende Lelands und Grimassis wider
(die Göttin steigt zur Erde hinab, um den Altar zu errichten).
Doreen Valiente sah zudem die Möglichkeit, dass „Aradia“ vom gälischen áiridh,
das heißt „Sommerweide“, abgeleitet ist und durch den Kontakt zwischen Kelten
und Etruskern im 5. Jh. v. Chr. in die Toskana kam.
Egal ob Aradia nun eine prähistorische Göttin, eine Gründerin der Hexentradition in Italien,
eine böhmische Prinzessin, alles oder nichts ist, so ist sie doch ein Symbol der Ermächtigung
der Frau in der Gesellschaft, ein Ja zur Kraft des Weiblichen.
Arminte
Quellen:
Altheim, Franz: Griechische Götter im alten Rom, 1930
Curott, Phyllis: Spirituelle Magie, 2002
Farrar, Janet & Stewart: Eight Sabbats for Witches, 1981
Fischer, Kathrin: Das Wiccatum: volkskundliche Nachforschungen zu heidnischen Hexen im deutschsprachigen Raum, 2007
Leland, Charles G.: Aradia, or the Gospel of the Witches, 1899
Magliocco, Sabine: Who was Aradia? The History & Development of a Legend The Journal of Pagan Studies, 2002
Valiente, Doreen: Witchcraft for Tomorrow, 1978
Valiente, Doreen: The Rebirth of Witchcraft, 1989
www.ravengrimassi.net
www.stregheria.com/faq.htm
wikipedia.org/wiki/Aradia_di_Toscano
wikipedia.org/wiki/Aradia
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